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Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Licia Troisi
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entwickelt hatte: ein gesprengter Kettenring, aus dem ein üppig belaubter Baum hervorbrach, der für den Wald der Wiederkehr stand.
    Die Angeklagten saßen in einem der beiden Bereiche seitlich des Altars, wo zuvor die höchsten Würdenträger des Klosters während der Zeremonien ihren Platz gehabt hatten. Das marmorne Mäuerchen, das ihn begrenzte, trug einen in aller Eile gezimmerten Holzkäfig für die Angeklagten, den zwei mit Lanzen bewaffnete Rebellen bewachten. Zusätzlich trugen die Gefangenen eiserne Halsfesseln sowie Holzblöcke an Händen und Füßen, die mit schweren Ketten verbunden waren. Bekleidet waren sie mit den Gewändern der ehemaligen Sklaven. Talitha erkannte ihre Freundin Kora auf den ersten Blick: Blass und abgezehrt war sie, doch ihre Miene strahlte Würde aus. Es schien, als lodere ein Feuer in ihr, das sie alle Zumutungen ertragen ließ. Offenbar war dies die Kraft ihres Glaubens, eines echten Glaubens, der Talitha bereits während ihrer gemeinsamen Tage im Kloster Messe angezogen und dazu gebracht hatte, dieses Mädchen mit dem Kindergesicht mehr und mehr zu bewundern.
    Im Tempel drängten sich die Besucher. Alle waren gekommen, um einem Ereignis beizuwohnen, das es noch nie gegeben hatte und das dadurch fast etwas Sakrales bekam. Es war etwas Größeres als die vielen Massenhinrichtungen zuvor: Endlich konstituierten sich die Femtiten als ein autonomes Volk, mit eigenen Gesetzen und einer eigenen Moral. Deshalb waren viele aus den umliegenden Ortschaften gekommen. Talitha hielt dies für ein hoffnungsvolles Zeichen.
    Es wird alles gut, das spüre ich , sagte sie sich immer wieder.
    Die Sitzung wurde von dem Femtiten eröffnet, der auch den Angriff auf das Kloster angeführt hatte, einem alten Haudegen mit zahlreichen Narben, der zum Oberkommando der Rebellen gehörte. Von ihm erzählte man sich, er habe vor vielen Jahren, lange bevor Saiph aufgetaucht war und die aktuellen Ereignisse ausgelöst hatte, seine Herrschaften umgebracht und fliehen können. Im Verbotenen Wald habe er sich versteckt und dann jahrelang dort gelebt. Die Femtiten bewunderten ihn, hätten sich für ihn töten lassen und hörten auf ihn wie auf ein Orakel.
    Talitha hingegen fand ihn wenig beeindruckend und sein Auftreten unnötig pompös. Der Femtit pries diesen großartigen Tag, an dem sich eine neue Gesellschaft gründe, aus der die Welt von morgen entstehen werde, und redete über die Bedeutung einer angemessenen Strafe für die Angeklagten, so als habe man die Gefangenen bereits verurteilt und die Verhandlung diene nur dazu, die Strafen einigermaßen gerecht zu verteilen.
    »Das fängt ja gut an«, raunte Melkise, der neben Talitha saß, ihr mit einem verächtlichen Lächeln zu. In den zurückliegenden Tagen hatten sie, durch den Kampf zusammengeschweißt, wieder miteinander geredet. Zwar hielt er sie freundlich, aber bestimmt auf Distanz, doch Talitha litt nicht mehr darunter. Nicht sehr jedenfalls.
    »Du hast doch gesagt, dass dich die Verhandlung gar nicht interessiert«, sagte sie.
    Melkise zuckte mit den Achseln. »Schon, aber ich will mich vor dem Kommandanten nicht in ein schlechtes Licht rücken. Du weißt, unsere Kameraden nehmen es mit diesen Förmlichkeiten ziemlich genau«.
    »Du denkst wieder nur daran, wie es am bequemsten für dich ist.« Talithas Ton war scharf.
    »Da könntest du recht haben«, antwortete Melkise mit diesem verschmitzten Lächeln, das Talitha bis vor Kurzem noch unwiderstehlich gefunden hatte.
    Der Richter verlas die Anklagepunkte: Verrat, Grausamkeit gegen Femtiten, Mord, Folter. Der Ablauf des Prozesses ähnelte sehr den Gerichtsverfahren, wie sie normalerweise Talariten gegen femtitische Angeklagte führten. Nicht verwunderlich, waren es doch die einzigen, die die Rebellen kannten. Endlich wurde dem Sprecher der Angeklagten, dem Kleinen Vater des Klosters, das Wort erteilt. Er war ein betagter Priester mit einer Wunde am Kopf, dessen Verband blutdurchtränkt war. »Wir Priester haben in diesem Kloster immer ein abgeschiedenes friedliches Leben geführt, das allein der Verehrung des Gottes Man geweiht war«, erklärte er. »Wir haben nie irgendjemandem etwas zuleide getan.«
    Sofort erhob sich aus dem Publikum lautes Geschrei, das seine Worte übertönte. Der Richter rief alle zur Ordnung, indem er mit der flachen Hand auf eine kleine Trommel schlug. Talitha erkannte das Instrument wieder: Mit ihm hatte man zuvor die Novizen bei Tagesanbruch geweckt.
    »Ihr erklärt euch also

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