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Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Licia Troisi
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mit aller Macht, sich davonzumachen, damit er nicht noch weiter in ein Geschehen hineingezogen würde, dem er nicht gewachsen war und aus dem es kein Zurück mehr gab. Wie lange würde es ihm noch gelingen, den anderen etwas vorzumachen? Früher oder später würde er sich unweigerlich verraten, bei einer Verletzung, einem Sturz, irgendeinem Vorfall, der ihm einen Schmerzensschrei entreißen oder seine Züge zu einem schmerzerfüllten Ausdruck verzerren würde. Während er an sein bisheriges Leben zurückdachte, wurde ihm bewusst, dass es im Leben eines Femtiten unzählige Gelegenheiten gab, Schmerz zu empfinden. Niemand von ihnen achtete auf solche Situationen, denen ein Talarit hingegen unbewusst aus dem Weg ging.
    Vielleicht habe ich mich von Anfang an falsch verhalten. Vielleicht gibt es für mich gar keine Möglichkeit, alldem zu entfliehen.
    Schließlich hatte der Krieg bereits begonnen und wütete in jedem Winkel. Dass er sogar den Verbotenen Wald erreicht hatte, zeigte ganz klar, dass ganz Talaria in Flammen stand und die Aufständischen keine Ruhe mehr geben würden, bis überall nur noch Tod und Verwüstung herrschten. Zum ersten Mal spürte Saiph die Last der Geschichte auf seinen Schultern, eine Kraft, die das Leben der Einzelnen, zu einem vermeintlich höheren Zweck, zermalmte und in einem Tiegel zusammenschmolz, aus dem ein neues Talaria entstehen würde. Doch Saiph war überzeugt, dass kein noch so hehres Ziel den Verlust auch nur eines einzigen Lebens rechtfertigte, und er war zu realistisch oder vielleicht zu träumerisch, als dass er wirklich glaubte, aus vergossenem Blut könnte eine bessere Welt entstehen. Er wollte nicht Teil dieses reinigenden Massakers oder schlimmer noch dessen Triebfeder sein.
    Ein kleiner Junge steckte schüchtern den Kopf zur Hütte hinein. »Verzeiht, wenn ich störe«, sagte er und seine Stimme zitterte dabei.
    »Du störst mich nicht. Und es ist auch nicht nötig, so förmlich mit mir zu reden«, antwortete Saiph.
    »Ihr werdet in einer halben Stunde im Rathaus erwartet. Gerner möchte mit Euch zu Abend essen.«
    Der Junge verschwand wieder, und Saiph legte noch einmal nachdenklich den Kopf zurück und ließ den Blick auf der Holzdecke mit den ungleichen, schlecht verarbeiteten Balken ruhen. Er musste bei klarem Verstand sein, wenn er Talitha retten wollte.

    Das Rathaus – eine sehr übertriebene Bezeichnung für die etwas größere Hütte, in der ihr Entführer Eshar eine gute Stunde zuvor verschwunden war – war innen kahl und schmucklos. Am Boden lagen einige Felle, auf denen etwa ein Dutzend Femtiten, Männer und Frauen, saßen. In der Mitte des Raumes war in dem Boden aus gestampftem Lehm eine Mulde ausgehoben und mit verschieden geformten Steinen ausgekleidet worden. Darin glomm ein Feuer, das den ganzen Raum erwärmte. Gerner saß im Kreis mit den anderen, allerdings auf einigen Samtkissen. Bei den Bezügen schien es sich um Reste von Talariten-Kleidern zu handeln, was an einigen zusammengenähten Ärmeln und Krägen erkennbar war. Diese Kissen waren das einzige sichtbare Zeichen, das ihn als Anführer aus der Gemeinschaft hervorhob.
    Gerner war ein Mann in der Blüte seiner Jahre, und sein Körper war schlank und athletisch, fast wie bei einem ausgebildeten Krieger. In dem Gesicht mit den scharfen entschlossenen Zügen funkelten wache Augen, und sein Blick war so durchdringend, als könnte er jedem Gegenüber tief in die Seele schauen, bis in den verborgensten Winkel hinein. Dass er einen Bart trug, wäre früher für einen Femtiten unmöglich gewesen, da die Talariten ihre Sklaven gezwungen hatten, sich regelmäßig zu rasieren. Sein langes Haar war von einem grellen Grün und, ein Zeichen seines fortgeschrittenen Alters, mit schwarzen Strähnen durchsetzt. Er trug es offen, was gestern noch ein Verstoß gegen die Anordnungen seiner Herren gewesen wäre. Sein tatsächliches Alter war schwer zu schätzen: Während die Haut wie aus Leder und von tiefen Falten durchzogen war, schien er dem muskulösen Körper nach im besten Mannesalter zu sein.
    Mit einem kurzen Kopfnicken forderte er Saiph auf, Platz zu nehmen. Das Festmahl, das man zu seinen Ehren ausgerichtet hatte, war einfach, aber doch einladend. Das änderte jedoch nichts daran, dass Saiph immer noch keinen Appetit hatte; der Gedanke, dass Talitha, wahrscheinlich ohne Verpflegung, irgendwo eingesperrt war, quälte ihn. Außerdem wandte Gerner keinen Moment den Blick von ihm ab, sondern starrte ihn

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