Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
unverwandt misstrauisch an, sodass Saiph immer unbehaglicher zumute wurde.
Während des Essens wurde kaum ein Wort gewechselt. Gerner war alles andere als redselig, und sein Gesicht hatte etwas Undurchdringliches. Saiph hingegen wagte es nicht, ihm Fragen zu stellen, sondern wollte zunächst herausfinden, was Gerner für ein Mann war und wie er mit ihm reden konnte. Der Femtitenanführer behandelte ihn ebenfalls respektvoll, aber nicht mit der gleichen blinden Bewunderung, mit der ihn die Bewohner des Lagers empfangen hatten.
Als sie fertig gegessen hatten, entließ Gerner alle Tischgenossen und blieb mit Saiph alleine.
»Du bist also der Held, der in aller Munde ist«, sagte er endlich, nachdem er noch einmal eine Weile geschwiegen hatte. »Dabei würde man dich deinem Blick nach nicht für einen Femtiten halten, der den Mut hat, solch eine Heldentat zu vollbringen. Ich kenne mich da aus.«
Seine Bemerkung klang ein wenig nach einem Verhör.
»Das hat sich auch alles gar nicht so zugetragen, wie ihr glaubt«, antwortete Saiph mit fester Stimme. »Deine Leute haben mir nicht mal Zeit gelassen, die Sache richtigzustellen.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Gerner und sah ihn scharf an.
»Nicht ich habe das Kloster niedergebrannt, sondern Talitha. Sie ist nicht die hochnäsige Grafentochter, für die ihr sie alle haltet. Sie steht auf unserer Seite. Ihr müsst sie sofort freilassen. Nicht zuletzt, weil ganz Nashira in großer Gefahr ist.« Saiph erklärte ihm die Situation, erzählte von den Klimaveränderungen, von Cetus’ Erstarken, und erwähnte zum Schluss auch den Ketzer.
Gerner schien weder beeindruckt noch interessiert. »Das ist wieder mal typisch für die Talariten: halten sich für die Herrscher der Welt und sogar der Sterne«, bemerkte er nur.
»Aber so ist es nicht«, erwiderte Saiph. »Es ist eine richtige und entsetzliche Bedrohung. Wenn wir den Ketzer nicht fingen, gibt es bald für niemanden mehr Platz, weder für Talariten noch Femtiten. Er ist der Einzige, der Rat weiß.«
Gerner hob die Hand, und auf der Stelle verstummte Saiph. Der Mann besaß ein natürliches Charisma, eine Autorität in seinem Auftreten, seinen Gesten, die ihn befangen machte.
»Nimm es mir nicht übel, aber ich merke, dass du der alten Ordnung Talarias noch eng verhaftet bist und dass es dir schwerfällt, wie wir zu denken. Aber mit der Zeit, da bin ich sicher, wirst du die Dinge aus einer anderen Perspektive sehen. Ich will es dir auch gar nicht zum Vorwurf machen, dass du auf dem Schlachtfeld in Orea desertiert bist; du standest ja praktisch allein und wurdest Zeuge eines entsetzlichen Massakers, wie es nur wenige auf Nashira gegeben hat. Doch nun hast du ein Zuhause gefunden, verstehst du?«
»Bei allem Respekt, aber offenbar seid ihr es, die nicht verstehen wollen. Was ich gesagt habe, ist die Wahrheit. Warum glaubt ihr mir denn nicht?«
Gerner fuhr fort, als habe er Saiphs Worte nicht gehört. »Die erste freie Gemeinschaft hat sich hier schon vor vielen Jahren gebildet. Er waren nur einige wenige versprengte Femtiten. Sie konnten unter Lebensgefahr der Sklaverei entfliehen. Sie waren so verzweifelt, dass sie ausgerechnet an dem Ort Unterschlupf suchten, den, wie man uns immer gelehrt hatte, sie am meisten fürchten und meiden sollten. Nach und nach wuchs die Gruppe, doch blieb es weiterhin eine überschaubare Anzahl von Flüchtlingen, die nichts weiter im Sinn hatten, als in Frieden und Freiheit zu leben. Bis wir eines Tages beschlossen, das Haupt zu erheben. Was dann geschah, weißt du.« Vor Saiphs innerem Auge tauchten wieder die Bilder von den Gräueltaten in Orea auf.
Gerner erzählte weiter: »So haben wir uns zu Kriegern gewandelt. Diese Insel ist ein ideales Versteck, von dem aus wir Angriffe auf die talaritischen Sklavenhalter vorbereiten und durchführen. Wir zetteln Revolten an und helfen überall dort, wo sich Sklaven erheben. Rebellen werden wir genannt, doch wir selbst bezeichnen uns lieber als ›Neues Volk‹. Die Götter haben sich von uns abgewandt, aber wir sind es leid, für die Schuld unserer Ahnen zu zahlen. Da uns niemand befreit, müssen wir uns auf unsere eigenen Kräfte verlassen. Wir sind stark: Es gibt bereits viele Rebellengruppen im Wald der Wiederkehr, überall sind sie versteckt und schlagen jetzt los.«
Gerner schwieg und betrachtete Saiph, der aber nichts entgegnete.
»Unser Ziel ist es, eine neue Welt zu schaffen, eine Welt, in der die Talariten für all das büßen,
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