Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
zischte Gerner und spuckte das Kraut zur Tür hinaus.
»Das war einmal. Jetzt beweist er mit großem Mut, wie viel ihm an diesem Jungen liegt, einem Femtiten, den er für einen Freund hält. Ich denke, wer sein Leben für einen Sklaven zu opfern bereit ist, ist auch ein Verbündeter für uns.«
»Du hast es schon richtig ausgedrückt: Er ist bereit, sein Leben für einen Freund zu opfern. Aber wir hier in diesem Dorf sind alle bereit, für unser Volk zu sterben: Was verbindet ihn mit uns Femtiten außer diesem vagen Gefühl für den Jungen? Und außerdem, wer sagt dir, dass das nicht alles ein abgekartetes Spiel ist, eine Inszenierung, um uns in eine Falle zu locken?«
Talitha wusste nicht, was sie erwidern sollte. Sie kannte Melkise nicht gut genug, sie konnte nicht auf seine Treue schwören, wie sie es bei Saiph getan hatte. Andererseits fand sie es ungerecht, ihn für sein Opfer zu bestrafen.
»Du weißt besser als ich, wie schwer es mir gefallen ist, dich in unseren Reihen zu akzeptieren«, fuhr Gerner fort. »Das war eine Erfahrung, die ich nicht wiederholen will.«
»Aber was soll aus Grif werden? Der Junge ist ohne Melkise nicht lebensfähig. Auch wenn ich mich seiner annähme, würde das nichts ändern. Er wird zugrunde gehen.«
»Der Junge bleibt bei uns. Er wird seinen Peiniger sicher nicht vermissen.«
»Aber Melkise ist für ihn kein Peiniger. Er hat ihn bei sich aufgenommen und ihn auf diese Weise vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt.«
»Viele von uns waren ihren Herrschaften eng verbunden. Aber irgendwann haben wir alle verstanden, dass es nicht gut ist, an jemandem zu hängen, der einem die Freiheit verwehrt. Der Junge wird darüber hinwegkommen und verstehen. Wenn nicht …«
»Wirst du auch ihn töten lassen«, vollendete Talitha den Satz, wobei sie ihren Zorn unterdrückte.
»Wie ich sehe, hast du die Richtung verstanden.« Gerner erhob sich. »Geh wieder an deine Arbeit und vergiss die ganze Geschichte, denn für diesen Mann kannst du nichts mehr tun. Ich hoffe, du setzt dich nicht deshalb so sehr für ihn ein, weil du nicht vergessen kannst, wer du bist und woher du kommst.«
»Ich weiß sehr genau, woher ich komme, und werde nie vergessen, wie sich meine Artgenossen verhalten. Nur leider sehe ich Ähnlichkeiten zwischen dir und ihnen, wenn du kei nen Unterschied machst zwischen einem Schurken und eine m Mann, der sich gerade für das Gute entschieden hat.«
Talitha wandte sich zur Tür und ging davon.
Noch am selben Abend wurde Melkises Schicksal öffentlich vor der versammelten Dorfgemeinschaft verhandelt.
Der Kopfgeldjäger saß wieder gefesselt in dem Kreis, den die Femtiten um ihn herum bildeten. Er wirkte entspannt, sein typisches Lächeln umspielte seine Lippen. Als Gerner eintrat, wurde es schlagartig still im Raum.
»Ich habe eine Entscheidung zu unserem Gefangengen getroffen«, kam er sofort zur Sache. »Auch wenn er behauptet, in friedlicher Absicht gekommen zu sein, ist er ein Kopfgeldjäger, und an seinen Händen klebt das Blut unserer Mitbrüder. Er hat weiter behauptet, niemals jemandem die genaue Lage unseres Dorfes verraten zu wollen, doch wir wissen alle, wie viel das Wort eines Talariten wert ist. Vor allem eines Talariten wie ihm. Daher habe ich beschlossen, dass er, im Interesse unserer Sicherheit, hingerichtet wird.«
Beifälliges Gemurmel durchlief den Saal.
Da trat Talitha vor. »Ich bitte um das Wort.«
Gerner blickte sie feindselig an, doch sie hatte bereits die Aufmerksamkeit der ganzen Versammlung auf sich gezogen.
»Ich bitte euch nur, nicht vorschnell über diesen Mann zu urteilen. Es stimmt, in der Vergangenheit war er ein Feind, der nur eines im Sinn hatte: Kopfgeld zu kassieren, egal ob für einen Femtiten oder einen Talariten. Bis vor Kurzem hätte auch ich ihn am liebsten tot gesehen. Doch nun hat er die tödlichen Gefahren des Eisgebirges auf sich genommen und sich zu uns durchgeschlagen. Er taucht unbewaffnet hier auf und legt sein Leben in eure Hände, nur um diesen Femtitenjungen zu retten, den er wie einen eigenen Sohn großgezogen hat. Damit hat er sich, ebenso wie ich, von seinem eigenen Blute abgewandt.«
Sie schaute sich um und suchte ein Zeichen des Verständnisses in all diesen Blicken, die sie auf sich spürte.
»Natürlich, in meinem Fall war es Saiph, der sich für mich verbürgen konnte, während Melkise niemanden mit solch einem Ansehen vorweisen kann, der sich für ihn einsetzen würde. Aber ich sage euch: Er ist ein
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