Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
darüber, worauf du dich da einlässt?«
»Doch, das bin ich.«
»Dir ist also klar, dass dir, wenn dieser Talarit etwas stiehlt, die Hand abgeschlagen wird, und dass du, falls er die Lage unseres Dorfes verrät, öffentlich hingerichtet wirst?«
In der vollkommenen Stille, die über der Versammlung lag, konnte man Gerners Zähne knirschen hören. Der Grund war weniger, dass er Melkises Hinrichtung für unumgänglich hielt, als vielmehr die Tatsache, dass seine Autorität infrage gestellt wurde, und das durch ein gerade zu ihnen gestoßenes junges Mädchen, das zudem noch Talaritin war.
»Ja«, antwortete Talitha.
Gerner ließ den Blick zwischen ihr und Melkise hin und her wandern und wandte sich dann wieder seinen Leuten zu.
»Nun gut, so sei es«, erklärte er schließlich mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Aber beim kleinsten Schnitzer, beim geringsten Verdacht, werdet ihr beide ein schlimmes Ende nehmen.«
Damit ging er, ohne ein weiteres Wort, hinaus.
Talitha ergriff Melkises Arm und half ihm auf. Eshar trat hinzu und löste ihm die Fesseln, während er ihm mit einem vielsagenden Blick fest in die Augen sah.
»Danke«, murmelte Melkise ihm zu.
»Folge mir«, antwortete der Femtit, ohne darauf einzugehen.
Während sie den Raum verließen, drehte sich Melkise noch einmal zu Talitha um und bedachte sie mit einem offenen Lächeln voll Dankbarkeit und Erleichterung. Sie nickte einfach mit dem Kopf. In einer Ecke stand Grif und schaute sie außer sich vor Freude an.
Talitha und Melkise wurden zusammen in einer Hütte untergebracht, die etwas außerhalb des Dorfs lag. Die Rebellen versuchten, Grif davon zu überzeugen, sich bei den anderen Femtiten einzurichten, aber der ließ nicht mit sich reden.
»Soll er doch machen, was er will«, verlor Gerner schließlich die Geduld. »Wir haben keine Zeit, uns mit den Launen eines kleinen Jungen aufzuhalten.«
Für Talitha kam die neue Unterbringung überraschend, und die Aussicht, mit einem fremden Mann einen so intimen Raum wie die Hütte zu teilen, brachte sie in Verlegenheit. Zudem erinnerte sie die Situation an ihre Gefangenschaft in Melkises Gewalt, und diese Tage hätte sie am liebsten aus ihrem Gedächtnis gestrichen. Allerdings hatte dieser Mann nichts mehr von dem zynischen Kopfgeldjäger, den sie damals kennengelernt hatte.
An diesem Abend fiel Grif schnell in tiefen Schlaf, während Melkise, die Hände im Nacken verschränkt, auf dem Stroh lag und zur Decke starrte. Talitha wälzte sich schlaflos auf ihrem Lager hin und her. Es war wärmer als gewöhnlich, und in den vergangenen Tagen hatte der Schnee zu schmelzen begonnen.
»Bist du wach?«, flüsterte Melkise irgendwann.
»Ja«, antwortete Talitha.
»Danke, dass du dich so für mich eingesetzt hast.«
Talitha lächelte, ohne dass er es im Halbdunkel sehen konnte.
»Kann ich dich mal etwas fragen?«, sagte sie, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatten.
»Nur zu.«
»Warum hast du das getan. Warum hast du für Grif so viel riskiert?«
Melkise schien überlegen zu müssen. Schließlich drehte er sich zu ihr um. Trotz des schummrigen Lichts in dem Raum erkannte Talitha, dass seine Miene so ernst war, wie sie es noch nie bei ihm gesehen hatte.
»Und du? Warum hast du so viel riskiert? Es könnte doch sein, dass ich nur auf eine Gelegenheit warte, dich wieder zu deinem Vater zurückzubringen.«
Talitha spürte, wie sie errötete, und war froh, dass die Dunkelheit es verbarg. »Ich fand es nur ungerecht, dass man dich tötet.«
»Aber wenn jemand den Tod wirklich verdient hat, dann bin ich es. So wie alle Kopfgeldjäger. Uns ist keine Gemeinheit zu schändlich, um sie nicht doch früher oder später zu verüben.«
»Dann habe ich es vielleicht für Grif getan«, sagte Talitha. »Und weil ich im Grunde glaube, dass du nicht so kalt bist, wie du vorgibst. Immerhin bist du imstande, jemanden ins Herz zu schließen.«
Melkise deutete ein Lächeln an. »Für mich gab es im ganzen Leben nie jemanden, dem ich enger verbunden war. Ich hatte auch nie ein Bedürfnis danach. Bindungen sind nur unnützer Ballast, die einem die Freiheit einschränken. Aber Grif … ich weiß auch nicht, als ich damals sah, wie er sich weinend über den Leichnam seines Peinigers beugte, überkam es mich wie eine Erleuchtung, dass vielleicht doch nicht alles zu verachten ist, was die Welt zu bieten hat. Es gibt Personen, so wie er, die sind …«, er schien nach dem passenden Ausdruck zu suchen, »… unschuldig ,
Weitere Kostenlose Bücher