Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
sich.
Mit einem Sprung saß er auf, und das Tier ließ es geschehen. Ermutigt presste ihm Saiph die Fersen in die Flanken, hielt sich am Kamm fest, der sich die Wirbelsäule entlangzog, und der Drache schwang sich in die Lüfte.
Wahrscheinlich hatte der Geruch der Beeren, mit denen er sich eingerieben hatte, das Tier angelockt und aus irgendeinem geheimnisvollen Grund veranlasst, sich ihm zu unterwerfen, überlegte Saiph. Vielleicht hatten die Rebellen auf diese Weise ihre Drachen zähmen können. Oder vielleicht lag es auch an seiner Berührung, der Berührung eines Femtiten, der Schmerz empfinden konnte. Die Berührung durch den Erlöser. Diesen Gedanken schob er sofort beiseite. Doch egal wi e, jedenfalls hatte er einen Freund gefunden, und dadurch würde sich alles ändern. Auf einem Drachenrücken über dieses unwegsame Gelände hinwegzufliegen, anstatt darin herumzuirren, war entschieden einfacher.
»Du liebst wohl die Geschwindigkeit«, rief er dem Drachen zu und tätschelte ihm liebevoll den Rücken. »Ich werde dich Mareth nennen. Das heißt ›schnell‹ in der Femtitensprache.« Er lächelte, während ihm der Wind das Haar auf der Stirn zerzauste und er hinab auf eine Landschaft blickte, die rasend schnell unter ihm entlangzog.
Nach zwei Tagen Flug erreichte Saiph den äußersten nördlichen Rand des Verbotenen Waldes.
Endlich erblickte er am Horizont die Berge, die mit Verbas Beschreibung übereinzustimmen schienen. Es waren sanft geschwungene Erhebungen, nicht besonders hoch und vollkommen kahl. In seinem Tagebuch hatte der Ketzer sie schlicht Erste Berge genannt. Es handelte sich um ein Gebiet, das kein Talarit und kein Femtit jemals hätte betreten können. Bis zum Horizont stand kein einziger Talareth, und die Luftkristalladern waren verschwunden. Nur eine Landschaft aus schwarzem Fels, Moos und Flechten breitete sich, so weit das Auge reichte, vor ihm aus, und eine beißende Kälte kroch ihm in die Glieder.
Saiph überflog die Gipfel, bis er eine kleine, in die Bergflanke gegrabene Mulde entdeckte. Er ließ Mareth auf dem schmalen Felsrand landen, der in den Hohlraum hineinführte, stieg ab und näherte sich dem Höhleneingang, so ehrfurchtsvoll, als schände er einen geweihten Ort.
Wie ein Einbrecher kam er sich vor, als er über die Schwelle trat. Heftig hämmerte sein Herz. Sollte Verba hier sein, sollte er ihn gefunden haben … Saiph wagte es nicht, sich das genauer vorzustellen.
»Ist da wer?«, rief er zaghaft.
Stille. Er räusperte sich und versuchte es lauter. Seine Stimme hallte von den nackten Felswänden wider. Keine Antwort.
»Verba?«
Nur sein eigenes Echo antwortete ihm.
Langsam trat er ein. Die Höhle war das vollkommene Ebenbild des Unterschlupfes, den sich der Ketzer bei Orea, im Grenzgebiet Talarias, eingerichtet hatte. Die Feuerstelle in einer Ecke, ein einfaches Strohlager, ein paar leere Nischen in den Wänden. Wieder einmal war Verba weitergezogen. Reglos, mit hängenden Armen, die Fäuste geballt, stand Saiph in der Mitte des Raumes. Am liebsten hätte er alles zertrümmert, was um ihn herum noch zurückgeblieben war, so groß war die Wut, die ihn überkam: ein Schlag ins Wasser, wieder einmal. Es war alles umsonst gewesen. Verba dachte nicht daran, sich von irgendjemandem finden zu lassen.
Wütend trat Saiph gegen ein paar Steine, die am Boden aufgehäuft waren. Sie flogen in die Feuerstelle, und Asche stob auf. Da erkannte er etwas Weißes, das zwischen den verkohlten Scheiten hervorschaute.
Er trat näher und nahm es in die Hand. Es war ein kleines Pergamentblatt, das offenbar dort hineingesteckt worden war, nachdem das Feuer schon längst erloschen war, denn es war völlig intakt. Er drehte es um und sah, dass es mit Verbas Handschrift beschrieben war, in jener Sprache und mit jenen Buchstaben, die er in den vergangenen Wochen erlernt hatte.
So las er die Worte und begriff: Das war eine Nachricht für ihn.
21
M elkise lebte bereits eine Woche bei den Rebellen in Sesshas Enar, als Gerner ihn und Talitha zu einer Lagebesprechung rufen ließ. Bemotha sollte befreit werden, ein Ort mit einem hohen Anteil von Sklaven, die in den Eisminen arbeiten, sowie einem entsprechend großen Truppenkontingent von Gardisten. Es handelte sich um ein militärisches Unternehmen von sehr viel größerer Bedeutung als all die Einsätze, die sie bisher unternommen hatten.
»Die Zeit ist reif, das Blatt zu wenden und den Verlauf des Krieges entscheidend zu verändern«,
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