Nashira - Talithas Geheimnis: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
durchzogenen Gesicht und stets wohlwollendem Blick. Sie konnte den Sklaven dazu überreden, mit ihrer jungen Herrin Kora zu reden: Einige Tage zuvor hatte sie ihm eine Bestrafung durch den Aufseher ersparen können, und nun hatte sie etwas bei ihm gut.
Für ihren Besuch in der Küche wählte Kora die kurze Zeitspanne vor dem Abendessen, die den Novizinnen zur freien Verfügung stand. Dann spazierten alle munter durch die Klosteranlage, und es würde sicher nicht auffallen, wenn sie sich im Schutz der flanierenden Grüppchen bewegte.
Obwohl ihr Herz vor Angst heftig schlug, schritt sie entschlossen über die hohen Stege, die die Klosteranlagen umgaben. Wie selbstverständlich huschte sie in die Küche, wählte aber einen Moment, als auch einige Sklaven mit Getreidesäcken beladen eintraten.
Der gesamte Küchenbereich war in großen, provisorisch wirkenden Holzschuppen untergebracht. Der Raum war voller Dampf und Rauch, und die Luft mit so derben Gerüchen getränkt, dass sie würgen musste. Undeutliche Gestalten bewegten sich hektisch in diesem Dunst hin und her, und nur das Funkeln der Strafstöcke trat klar hervor, die die Aufseher schwangen, damit kein Sklave im Arbeitseifer nachließ. Gebrüllte Anweisungen und Befehle hallten von den Wänden wider.
Vor der Feuerstelle blieb Kora stehen. Die Glut in dem offenen Kamin strahlte eine Hitze aus, die besonders an diesem schwülen Tag kaum auszuhalten war. Darüber drehte sich ein Schwein an einem Spieß, ein ausgewachsenes Exemplar, dessen glatte, mit Kräutern und Gewürzen eingeriebene Haut bereits knusprig braun gebraten war und von Fett glänzte. Aber der Geruch, den das Fleisch verströmte, war ebenfalls so penetrant, dass es Kora fast den Magen umdrehte.
Da berührte sie jemand an der Schulter. Sie zuckte zusammen und fuhr herum. »Ach du bist es, Galja … Hast du mich erschreckt.«
Die Frau lächelte. »Keine Sorge, Herrin, hier drinnen wird niemand auf Euch achten. Ich habe getan, was Ihr mir aufgetragen habt.« Und mit diesen Worten zog sie einen zierlichen Jungen heran, dessen Gesichtszüge so zart wirkten, dass man ihn fast für ein Mädchen halten konnte. Er hielt den Blick gesenkt.
Kora versuchte, ihm Mut zu machen. »Sei unbesorgt, du hast nichts zu befürchten«, sagte sie.
»Zu Diensten«, antwortete er mit hoher Kinderstimme.
»Vor einigen Tagen habe ich dich spät abends mit der Priesterin Grele reden sehen … Was wollte sie von dir?«
Der Sklave blickte sie furchtsam aus den Augenwinkeln an. »Aber Herrin … die Priesterin hat mir verboten, darüber zu sprechen.«
»Das kann ich mir vorstellen, aber ich muss es unbedingt wissen.«
Der Junge begann zu zittern. Wem sollte er gehorchen? Grele, die ihm zu schweigen befohlen hatte, oder dieser Novizin, die ihn aufforderte zu reden? Der Strafstock war ihm sicher. Er brach in Tränen aus und warf sich zu Koras Füßen nieder. »Bitte, bestraft mich nicht … ich flehe Euch an.«
Verlegen sah Kora Galja an. Solche Situationen kannte sie bisher nicht. Die Dienerin nahm die Sache in die Hand. Sie ergriff den Arm des Jungen und zog ihn hoch. »Komm, komm … stell dich nicht so an. Meine Herrin wird niemandem verraten, was du ihr erzählst. Sieh doch, wie freundlich sie ist.«
»Aber wenn die Priesterin davon erfährt, wird sie mich mit dem Strafstock hinrichten lassen«, stöhnte der Sklave.
»Vertrau mir, ich werde es niemandem verraten«, sagte Kora.
Einen Moment zögerte der Junge noch, dann nickte er.
»Also, dann erzähl mal.«
Der Junge redete mit so leiser Stimme, dass Kora ihn nur mühsam verstehen konnte. »Die Priesterin Grele hat die Pflege der Kleinen Mutter übernommen, aber heimlich, hinter dem Rücken der Heilerin. Sie hat zu mir gesagt, sie würde den Medikamenten der anderen nicht trauen, und mir aufgetragen, Ihrer Eminenz eine spezielle Arznei zu verabreichen.«
»Und die gibst du ihr auch?«, fragte Kora.
»Ja«, murmelte der Junge, wobei er den Kopf einzog.
»Wie lange schon?«
»Seit zwei Wochen.«
Kora spürte, wie ihr ein langer Schauer den Rücken hinunterlief. Seit genau zwei Wochen gab die Gesundheit der Kleinen Mutter Anlass zur Sorge.
»Und warum hast du der Priesterin Grele mehr vertraut als der Heilerin der Kleinen Mutter?«, fragte sie und wurde sich sogleich bewusst, wie unsinnig diese Frage war. Für einen Sklaven wie ihn war es unerheblich, ob er glaubte, jemandem trauen zu können oder nicht. Er tat einfach nur, was man ihm sagte.
»Mein Herr war
Weitere Kostenlose Bücher