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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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Bedeutenderes zu stehen. Sie befanden sich jetzt außerhalb des Herrschaftsbereichs ihres Vaters, es war ein anderes Land. Und obwohl ihnen die Worte der Soldaten noch einmal ganz klargemacht hatten, dass sie Opfer einer gnadenlosen Treibjagd waren, hatte sie das Gefühl, hier sicherer zu sein. Außerdem
war es kühler und durch das Geflecht der Äste am Himmel etwas zu sehen, dessen Existenz sie fast vergessen hatte: Wolken. Sie legte sich ebenfalls den Umhang um, zog die Kapuze tief ins Gesicht und war bereit: Der Marsch ging weiter.

27
    A m nächsten Tag begannen sie mit dem Aufstieg zum Abendrotgebirge. Die Landschaft um sie herum war rauer geworden, und während sie vorwärtsmarschierten, stellten sie fest, dass sich auch der Baumpfad mehr und mehr veränderte: Während auf der einen Seite unter ihm der Abgrund klaffte, klammerte er sich auf der anderen an den Fels. Die Talareths, die seinen Lauf bestimmten, wurzelten an den Hängen und waren schlanker und weniger üppig als die Bäume weiter unten im Tal. Manche ragten unter dem Pfad auf und trugen ihn mit ihren Ästen, anderen wuchsen oberhalb, sodass das Astwerk darüber hing und der Weg mit starken Seilen daran befestigt war.
    Im ersten Abschnitt war der Aufstieg noch nicht beschwerlich. Der schmale Baumpfad wand sich kurvenreich um den Fels, doch abgesehen von einigen steilen Serpentinen, hielt sich die Neigung in Grenzen, und sie kamen gut voran.
    Hin und wieder war das Laubwerk etwas lichter, sodass sie mehr vom Himmel sehen konnte. Es war ein imposantes Schauspiel, wie die weißen Wolken an ihm entlangzogen und unablässig neue, überraschende Gebilde schufen. Bald wurde die Luft jedoch immer wärmer und stickiger, vor allem, weil sie mit einer unangenehmen Feuchtigkeit getränkt war. Die schweißnassen Umhänge klebten ihnen am Leib, und irgendwann zogen sie sie aus
    »Solch eine schwüle Luft habe ich seit der Hochzeit meiner
Cousine nicht mehr erlebt. Dabei habe ich gelesen, dass in dieser Gebirgsregion ein besonders angenehmes Klima herrschen soll«, bemerkte Talitha.
    »Das war früher bestimmt auch so. Milde Temperaturen mit viel Sonnenschein, dafür ist das Reich des Frühlings eigentlich bekannt. Die Könige aus dem Reich des Winters reisten zur Sommerfrische an, und unsere Königinnen ebenso, wenn bei uns die Hitze unerträglich war. Das habe ich auch gelesen«, sagte Saiph.
    Instinktiv blickte das Mädchen zu dem Stück Himmel, das über ihnen zu sehen war. Fast hatte sie den Eindruck, Cetus beobachte sie und peinige sie mit dieser Hitze, damit sie ihre Mission abbrachen.
    Immer stärker zehrte die Schwüle an ihren Kräften, und so suchte Talitha ein wenig Abkühlung durch eine frische Brise, indem sie den Kopf durch die seitliche Begrenzung des Baumpfades steckte. Was sie dort sah, ließ sie erschaudern: Zu Füßen der Berge, die sie erstiegen, erstreckten sich großflächig Sümpfe, die im hellen Licht, das durch die weißen Wolken fiel, wie kleine Seen aus geschmolzenem Metall schimmerten. Hier und dort ragten aus dem Sumpfwasser die Reste halb versunkener Talareths empor, einige mit heilen Kronen, die wie untergehende Schiffe aus einem silbernen Meer hervorschauten, bei anderen waren die Äste verfault und würden bald ganz zerfallen.
    Talithas Herz bebte. »Komm, sieh dir das mal an«, rief sie.
    Saiph trat neben sie und betrachtete schweigend das gesamte Panorama.
    »Das sind Überschwemmungsgebiete«, sagte er in ernstem Ton.
    »Glaubst du, dass Cetus auch dafür verantwortlich ist?«
    Saiph nickte nur.
    Talitha sah nach oben. Über ihr wurde das Weiß hier und dort von grauen Streifen durchbrochen, wie ein milchiges Meer, auf dem sich Wellen kräuselten. Dahinter verbarg sich die Macht, die im Begriff war, sie alle zu vernichten.
    Eine Macht, die in der Lage ist, ganze Städte zu überfluten ... Wie kann ich sie schon aufhalten?
    Sie schüttelte den Kopf und machte sich wieder auf den Weg bergan, wobei sie immer wieder kühn auf das Rechteck des Himmels über ihr blickte.

    Am Ende des zweiten Tages führte der Weg plötzlich steiler bergauf, und jeder Schritt wurde zur Anstrengung. Der Pfad war holprig, und einige Male mussten sie sich am Fels entlanghangeln, weil einige Bretter durchgebrochen waren. Irgendwann öffnete sich unter ihnen ein Abgrund. Alle Bretter waren in die Tiefe gestürzt, so als habe das Nichts sie geschluckt, und nur die Seile, die sie einmal hielten, waren noch über die Schlucht gespannt. Auf der anderen

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