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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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auf den Boden. Mit einem Mal war ihm, als seien ihnen Scharen von Verfolgern auf den Fersen, und hinter jeder Ecke, hinter jedem Gesträuch lauere ein Hinterhalt.
    Er holte das Pergament hervor und betrachtete das Gesicht, das ihn von dem Blatt so böse ansah. Es verstörte und faszinierte ihn gleichzeitig. Es war, als sehe er sich mit den Augen eines anderen und erkenne so eine Seite von sich, die ihm am liebsten verborgen geblieben wäre.
    Nur sein Name stand auf dem Blatt. Um ihn allein ging es. Auf ihn wurde Jagd gemacht. Kleiner, darunter, war zu lesen, was man ihm alles vorwarf: Eine lange Liste von Anklagepunkten, darunter Entführung, die Zerstörung des Klosters, Mord und Aufstachelung zur Rebellion. Aber von Talitha kein Wort. Gewiss, das war für alle die beste Lösung: Für den Klerus, der sich nicht für die Ruchlosigkeiten einer Novizin verantworten musste, und auch für Megassa, der ein Interesse daran hatte, dass der Ruf seiner Familie nicht besudelt wurde. Eigentlich hatte er es bereits gewusst: Nicht nur Lanti, auch die aufständischen Femtiten waren davon ausgegangen, dass er das Feuer gelegt hatte. Es gab keinen Grund, sich über solch einen Steckbrief zu wundern. Und dennoch war es etwas anderes für ihn, all diese Vorwürfe unter seinen Bild
aufgeführt zu sehen. Mit der Wucht einer Ohrfeige führt sie ihm die Dramatik seiner Situation vor Augen.
    Im Grunde hatte er es gewusst, seit er im Chaos des brennenden Klosters aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht war: Für ihn würde dies eine Reise ohne Wiederkehr sein. Nur erkannte er das jetzt noch viel klarer als zuvor. Er spürte es körperlich, in Knochen und Gliedern, konnte es fast über sich schweben sehen, das Schicksal, das ihn erwartete.
    Überall in Talaria war an irgendwelchen Pfosten und Hauswänden sein Gesicht zu sehen. Selbst im hintersten Winkel des Reiches kannte man es nun. Für ihn gab es keinen Ort mehr, an den er fliehen konnte. Megassa würde sich nicht aufhalten lassen. Er würde ihn jagen bis ans Ende der Welt, um ihn dann unter schlimmsten Qualen hinrichten zu lassen. Dies war für den Grafen die einzige Möglichkeit, die Ehre seiner Tochter zu retten.
    Einen Moment lang packte Saiph die Panik und nahm ihm den Atem.
    Du musst dich damit abfinden. Es ist, wie es ist. Für dich kannst du nichts mehr tun, aber da ist noch jemand, dem du sehr wohl eine große Hilfe sein kannst.
    Er hockte sich näher an Talitha heran. Im Schlaf sah sie wieder aus wie das lebhafte und gleichzeitig melancholische kleine Mädchen, das er vor Jahren kennengelernt hatte.
    Eine Belohnung ruft Kopfgeldjäger auf den Plan, Leute ohne Skrupel, die vor nichts Halt machen.
    Lange schaute er sie an, bis sich seine Atemzüge schließlich auf die ihren einstellten.
    Fortgehen. Sich stellen, bevor sie geschnappt wurden, und erklären, dass er sie getötet habe. Verurteilt war er ohnehin schon. Sie aber würde dadurch frei werden. Für immer.

    Von seinem Schweiß durchtränkt weichte das Pergamentblatt, das er fest umklammerte, langsam auf.
    Mit einem Ruck erhob er sich. Er würde es tun. Er ließ die mit Proviant und der Trinkflasche gefüllte Wandertasche neben dem Mädchen zurück und blickte sie noch ein letztes Mal lange an, so, als wolle er sich ihr Gesicht für immer einprägen.
    Pass gut auf dich auf, Talitha , sagte er in Gedanken zu ihr.
    Er trat einen Schritt zurück, da knarrte das Holz des Baumpfades unter seinen Füßen – und weckte sie. Das Mädchen öffnete die Augen und blickte ihn verschlafen an. Seit sie die Haare kurz trug, standen sie ihr nach dem Aufwachen in lustigem Gewirr vom Kopf ab. Sie merkte es und versuchte, sie mit den Händen zu glätten, doch ihre Mähne ließ sich nicht zähmen, wodurch sie noch mehr wie ein aufsässiges Mädchen aussah.
    Saiph versteckte das Pergamentblatt rasch hinter seinem Rücken.
    »Wo wolltest du denn hin?«, fragte sie ihn verwirrt.
    »Ich hab schon mal zusammengepackt, es ist Zeit aufzubrechen«, wich er aus.
    Da fiel Talithas Blick auf die Wandertasche, die merklich voller als am Vorabend aussah. »Wo warst du?«, fragte sie streng.
    »Ich hab Proviant besorgt. Schau her«, antwortete Saiph und öffnete die Tasche.
    Talithas Blick erhellte sich. Sie hatte solch einen Hunger, dass sie sich sofort auf ein Stück Käse stürzte. »Lecker«, brummte sie mit vollem Mund. »Aber warum hast du mir nicht Bescheid gesagt? Dann wäre ich mitgekommen. Es war gefährlich, mich hier allein schlafen zu lassen.

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