Nashira
waren Diebstähle, oder sogar Überfälle, an der Tagesordnung. Eine eingetretene Ladentür hing schief in den Angeln.
Dennoch fühlte sich Talitha nach den Entbehrungen der Reise plötzlich wie erfrischt. So viel Nahrung auf einmal hatte sie seit der Flucht aus dem Kloster nicht mehr gesehen. Sie hatte Hunger, einen Hunger, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Daher kam ihr alles einladend und appetitlich vor.
So schlenderte sie zwischen den Ständen hindurch und versuchte, klug auszuwählen, was sie kaufen wollte. Nur einen Teil von Lantis Geld hatte sie mitgenommen, und dies musste auch noch für den Luftkristall reichen. Sie entschied sich für ein wenig Gemüse und Trockenfleisch, sowie vier Gläser mit eingelegten Bohnen. Sie kaufte auch zwei dicke
Hemden, die sie in ihre Wandertasche stopfte, und trat dann auf einen Stand zu, an dem Heilkräuter verkauft wurden. Die Händlerin war eine alte Frau mit wenigen Haaren und einem fast zahnlosen Mund, aus dessen Kiefer nur, einsam und wehrhaft, ein einzelner Schneidezahn hervorstand. Doch sah die Frau gutmütig aus, und der helle Schleier über ihren Pupillen ließ vermuten, dass sie außerdem halb blind war.
Talitha beschloss, ihr zu vertrauen, und beschrieb ihr Saiphs Symptome.
»Das ist nichts Schlimmes, eine starke Erkältung wahrscheinlich, mehr nicht«, beruhigte die Marktfrau sie, wobei sie bei jedem Wort etwas Spucke verteilte.
»Aber er hat immer noch Fieber.«
Die Alte kicherte. »Aber Töchterlein, was glaubst du denn? Zwei Tage sind doch gar nichts, damit ein solches Fieber sich legt.««
Sie reichte ihr ein Säckchen mit Kräutern und erklärte ihr dazu, mit einem Teil davon dem Kranken einen Brustwickel zu machen und ihm den Rest als Tee aufzubrühen. Talitha prägte sich alles gut ein, und als sie bezahlt hatte, blieb sie noch einen Moment vor der Alten stehen, biss sich auf die Lippen und überlegte, ob sie es wagen sollte. Sie tat es.
»Noch schneller gesund würde er sicher mit ein wenig Magie ...«
Die Alte legte die Stirn in Falten. »Dafür bräuchtest du aber einen Priester.«
»Und einen Luftkristall.«
Die Miene der Marktfrau wurde ernst.
Talitha neigte sich so weit zu ihr vor, dass ihre Lippen fast deren runzliges Ohr berührten. »Ich brauche einen Luftkristall ...«
Die Alte sah sie schweigend an. An Laien wurden keine Luftkristalle verkauft. Es waren die Kleinen Mütter und Väter der Klöster, die sie anschafften und an die Priester und Priesterinnen für ihre Zauber und Riten verteilten sowie an die staatlichen Stellen, die für die Instandhaltung der Baumpfade verantwortlich waren. Talitha wusste allerdings, dass es einen Schwarzhandel mit Luftkristallanhängern gab. Als sie noch Kadettin bei der Garde war, hatte sie miterlebt, wie solch ein Händler gefasst wurde.
»Warum willst du dich unbedingt in Schwierigkeiten bringen?« , fragte die Alte schließlich und blickte das Mädchen mit ihren milchigen Augen fest an.
»Ich bin Priesterin ... und in einer Notlage ...«, erklärte sie, »aber es würde zu lange dauern, das alles genauer zu erklären.«
Die Alte seufzte. »Im vierten Ring, auf der Westseite, wohnt ein Mann ... Ach, frag einfach nach Bleri ...«
»Danke, vielen Dank.«
»Aber sei bloß vorsichtig«, fügte die Kräuterhändlerin noch hinzu, bevor sie sich wieder ihren eigenen Angelegenheiten zuwandte.
Es war nicht leicht, den Mann zu finden. Sobald Talitha der Name über die Lippen kam, wurden die Leute wortkarg und schauten sie misstrauisch an. Dann zogen sie die Köpfe noch tiefer ein und versuchten, ihre Gesichter unter den Kapuzen zu verbergen. Dreimal musste sie jemanden ansprechen, und obwohl es sich dabei wieder nur um zwei Jungen und einen Sklaven handelte, fühlte sie sich unsicher. Zuletzt geriet sie an einen Mann, dessen Gesichtszüge wenig vertrauenerweckend wirkten.
»Ach, du willst einen geschmuggelten Luftkristall?«, kicherte
der. Talitha antwortete nicht, und der Mann bedachte sie mit einem vielsagenden Lächeln. »Keine Sorge, mich interessiert es nicht, wofür du ihn brauchst. Bei Bleri bist du richtig. Seinen Stand findest du an der nächsten Kreuzung, unter dem Roweki-Altar. Sag ihm einfach, du interessiert dich für einen Anhänger mit einem rosanen Stein. Dann weiß er Bescheid.«
Sie bedankte sich und entfernte sich eilig. Ihr war unbehaglich zumute, obwohl sie unter Leuten, die ebenfalls etwas zu verbergen hatten, wahrscheinlich sogar sicherer war. Aber sie hatte einfach
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