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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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sie hineinschleichen konnten.
    Die Flügel angelegt, den Kopf auf einer Seite, lag der Drache schlafend am Boden. Er war rot, nur am Rücken und an den Rändern der Flügel fast violett. Rhythmisch hob und senkte sich der Brustkorb, während die Luft zischend durch die Nüstern ein- und ausströmte. Der lange Schwanz war um den Körper gewickelt, fast so als solle er ihn beschützen. Für Talitha strahlte das Tier Kraft und gleichzeitig Zartheit aus.
Sie hatte schon größere Drachen gesehen, und der Länge nach hätte er vielleicht sogar in ihre Zelle im Kloster hineingepasst, doch er war mit Sicherheit sehr schnell, und genau das brauchten sie. Talitha warf einen Blick auf den Luftkristall auf ihrer Brust, an dem sie einen Talarethzweig befestigt hatte. Hoffentlich würde er für genug Atemluft sorgen. Bis vorhin hatte sie Saiphs Idee für ganz brauchbar gehalten, doch jetzt kam sie ihr völlig lächerlich vor.
    Wir werden ersticken , dachte sie. Die Urangst aller Talariten.
    Der Drache schnaubte kurz und hob eine Tatze.
    Talitha fielen die beiden Schlitze am oberen Ende seines Halses auf, mit denen die Drachen, wie sie im Kloster gelernt hatte, auch dort atmen konnten, wo die Luft eigentlich zu dünn dafür war.
    Vorsichtig traten sie von zwei Seiten an das Tier heran. Saiph legte die Hände auf die Schuppen, die sich kalt und fast glitschig anfühlten. Dann warf er dem Mädchen einen Blick zu und nickte.
    Mit einem Sprung schwang er sich auf den Drachen. Der fuhr hoch, stellte sich auf die Hinterbeine und stieß ein Brüllen aus, das die Stallwände erbeben ließ. Plötzlich, da er nicht mehr zusammengekauert dalag, kam Talitha der Drache riesengroß vor. Panik überkam und lähmte sie. Gegenüber diesen Tatzen, diesen scharfen Reißzähnen, diesem mächtigen Leib fühlte sie sich winzig klein. Ein Schnauben, ein Flügelschlag würden reichen, um sie hinwegzufegen.
    Während das Tier sich wütend aufbäumte, klammerte sich Saiph mit aller Kraft an dessen Hals fest.
    »Die Ketten!«, rief er.
    Der Drache ließ sich auf die Vorderbeine zurückfallen,
und Talitha musste zur Seite hechten, um nicht zerquetscht zu werden.
    »Durchschlag die Ketten!«, rief Saiph wieder.
    Das Mädchen zog das Schwert und holte aus. Zweimal musste sie die Klinge niederfahren lassen, schließlich sprang die Kette entzwei. Rasch ergriff das Mädchen das eine Ende, nahm Anlauf, sprang hoch und landete auf dem Rücken des Drachen und klammerte sich an Saiph fest.
    Plötzlich ging die Tür auf, und ein junger Femtit kam herein. Vor Überraschung und Furcht riss er die Augen, aber fasste sich aber gleich wieder. So laut er konnte, brüllte er: »Diebe! Haltet sie! Haltet sie!«
    Da riss Talitha mit aller Gewalt an der Kette. »Lauf, verdammt noch mal, lauf!«
    Der Drache stieß ein tiefes Grunzen aus und stürmte über den Femtiten hinweg auf die Tür zu und ließ deren schwere Holzflügel auffliegen.
    Vom Lärm alarmiert, liefen draußen von allen Seiten andere Stallknechte herbei: Nur noch wenige Augenblicke, dann wären sie von ihnen umringt.
    »Flieg, mein Bester, flieg!«, schrie sie in höchster Not und zerrte noch fester an der Kette.
    Der Drache stieß ein ohrenbetäubendes Brüllen aus, spreizte die Flügel und hob schwungvoll ab.
    Talithas Magen sackte ab, während die kalte Luft ihr Gesicht peitschte und sie gegen die Schuppen des Tieres presste. Doch sie unterdrückte die Furcht und zog noch fester an der Kette. Die Muskeln des Drachen spannten sich unter den Innenseiten ihrer Oberschenkel an, seine Flügel schlugen kraftvoll auf und ab, und die Erde unter ihnen entfernte sich immer weiter. Der Drache drehte eine Schleife über der
Zuchtstation, gleich unter den Ästen des Talareths, während eines der Gebäude von Fackeln immer mehr erhellt wurde und nun wie ein Rechteck aus Licht in der Dunkelheit aussah.
    »Wir müssen weg!«, schrie Talitha. Auf dem Gelände vor den Ställen wimmelte es von Leuten – Wachen, Reitlehrern, Stallknechten –, und die Ersten rannten schon in die Ställe, um sich auf Drachen zu schwingen und ihnen zu folgen.
    »Die sind uns gleich auf den Fersen!«, rief Saiph.
    Mit beiden Händen packte sie die Kette und zog mit aller Kraft. »Flieg! Flieg!«, schrie sie.
    Der Drache wendete so scharf, dass sie fast abgeworfen wurden, stieß sein mächtiges Brüllen aus, schoss auf die Krone des Talareths zu und fand, auf wundersame Weise, eine ausreichend breite Lücke im Geäst. Zwei entschlossene

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