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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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Rücken. Hier, so glaubten sie, würde niemand sie verfolgen, und deshalb fühlten sie sich einigermaßen sicher. Wäre da nicht das ungewohnte Gefühl gewesen, ohne Deckung zu sein, weil zwischen ihnen und dem Himmel die Krone eines Talareths fehlte, wäre es eine perfekte Reise gewesen.
    Als es hell wurde, begrüßte sie ein einheitlich grauer Himmel, so als habe jemand eine Schutzdecke vor die Sonnen gezogen. Talitha war es ganz Recht.
    »Hat dich der Himmel in der Nacht denn gar nicht beunruhigt?« , fragte sie Saiph.
    Der zuckte mit den Achseln. »Doch, aber das liegt nur daran, dass wir es nicht gewöhnt sind, ihn zu sehen. Seit wir denken können, hat man uns beigebracht, es sei Sünde, den Himmel zu betrachten. Warum eigentlich? Es ist doch nur eine endlos weite dunkle Fläche, die mit kleinen Lichtern besprenkelt ist.«
    »Das ist aber nicht der einzige Grund. Es hat auch damit zu tun, dass wir uns unter einem Talareth vormachen können, einzigartig und besonders zu sein. So können wir uns gegenseitig versichern, von den Göttern erwählt zu sein, und dass es außer Talaria nichts anderes gibt. Doch wenn man heraustritt und aufblickt, stellt man fest, dass man nur ein Pünktchen ist inmitten des Nichts.«
    »Wahrscheinlich ist es uns genau deshalb verboten, den Himmel anzuschauen«, warf Saiph ein.

    Talitha stutzte. So hatte sie das noch nie gesehen. Es war ein Gedanke, der einen angenehmen Nachgeschmack hinterließ, ein Gefühl ungeahnter Freiheit. Sie waren dabei, gegen viele Regeln zu verstoßen, viele Tabus zu verletzen, und das erschreckte sie zwar, weckte in ihr vor allem aber eine unbekannte Euphorie. So als sei sie zum ersten Mal in ihrem Leben tatsächlich frei, und sei es auch nur für einen kurzen Augenblick. Und ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht.

    Der Übergang zum Reich des Winters war kaum wahrnehmbar. Das Mädchen hatte jede Menge Schnee erwartet und eine Kälte, die Mark und Bein gefrieren ließ, stattdessen bemerkte sie aber nur ein leichtes Abfallen der Temperatur.
    »Müsste nicht Schnee liegen?«, fragte sie.
    »Eigentlich schon. Aber ein Sklave im Palast, der aus dieser Gegend kam, erzählte, dass es immer weniger Schnee gibt. Früher reichte die Schneedecke bis zur Grenze des Reichs des Herbstes und sogar darüber hinaus, aber jetzt schmilzt er Jahr für Jahr weiter ab.«
    Auch hier waren die Auswirkungen von Cetus’ Erstarken nicht zu übersehen, sagte sich Talitha. Wohin sie auch kamen, überall stießen sie auf Anzeichen des bevorstehenden Untergangs. Unaufhaltsam veränderte Nashira sein Gesicht. Von oben erkannte sie unzählige Flüsse, die auf Lantis Karte nicht verzeichnet waren.
    »Der abschmelzende Schnee muss ja irgendwo hin«, bemerkte Saiph dazu.
    Bald kamen die erste Ansiedlungen in Sicht. Die Talareths darüber waren wiederum anders als in den übrigen Reichen: Die langen knorrigen Stämme waren mit einer dicken dunklen
Rinde überzogen und die nadelförmigen grünen Blätter wuchsen in verschieden großen Büscheln längs der Äste.
    Am Ufer des Relio-Sees lagen zwei große Städte. Eine war schon ganz vom Wasser überspült, während die andere noch verschont geblieben war, weil sie erhöht auf einem Felsen lag. Saiph zeigte sie Talitha auf der Karte. »Kavissa und Kamta. Bis Danyria ist es nicht mehr weit.«
    Doch plötzlich wurde das Licht schwächer, das der Luftkristall abgab, und beiden fiel das Atmen merklich schwerer. Auch der Drache flog langsamer, während sich die Schlitze an seinem Hals hektisch schlossen und weiteten.
    »Müsste die Wirkung des Talarethzweigs nicht länger anhalten?« , fragte Saiph.
    »Normalerweise schon, doch wir haben wohl die Luft, die er produziert hat, zu schnell eingeatmet«, antwortete Talitha besorgt.
    »Zum Glück werden wir nicht mehr viel Luft brauchen«, sagte Saiph und deutete auf einen Punkt vor ihnen, »wir sind bald am Ziel.«

    Sie mussten unter einem nur wenige Ellen breiten Baumpfad landen. Kaum waren sie abgestiegen, ließ sich der Drache schon ermattet ins Gras sinken. Die Schlitze an seinem Hals pulsierten schnell.
    »Der Drache scheint völlig am Ende zu sein. Hoffentlich findet es wieder nach Hause«, sagte das Mädchen keuchend.
    »Ja, sicher. Er ist nur erschöpft. Der findet seinen Weg.«
    Lange betrachtete Talitha das Tier. Sie hatten zwar nicht sehr viel Zeit miteinander verbracht, aber irgendwie war er ihr ans Herz gewachsen. Schließlich hatte er ihnen das Leben gerettet.
    Sie tätschelte ihm das

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