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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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Maul und legte die Stirn auf seine Schuppen.
    »Lass dich nicht hängen. Sieh zu, dass du zurückfindest«, murmelte sie, als sie sich von ihm löste.
    Dann kletterten sie zu dem Baumpfad ein paar Ellen über ihnen: Es war kalt geworden, und Talitha hüllte sich fester in ihren Umhang. Es war so kalt, wie sie es noch nie erlebt hatte. Der Mantel war völlig unzureichend, um sie zu wärmen. Sogar durch die Stiefel drang die Eiseskälte. Die Luft jedoch ließ sich mit jeder Elle, die sie aufstiegen, besser atmen.
    Als sie die Astgabelung mit dem Baumpfad erreichten, legten sie eine Pause ein und sogen die gute Luft tief ein, während sich vor ihren Mündern dichte Atemwölkchen bildeten.
    Kurz darauf wurde der Baumpfad immer unwegsamer. Hände und Füße waren schon starr vor Kälte, und jeder Schritt wurde zur Tortur. Wie schon im Reich des Herbstes verwandelte sich ihr Weg wieder in einen maroden Steg, der hoch über dem Abgrund an einer Felswand entlangführte. Aber Talitha merkte es fast nicht, zu sehr waren ihre Gedanken auf das Ziel gerichtet. Hatten sie den Ketzer erst einmal gefunden, würde alles einen Sinn bekommen: der Tod von Schwester Pelei, der des Gardisten, den sie selbst getötet hatte, die Einbrüche und Diebstähle, jede noch so unbedeutende Entscheidung, die sie auf ihrem Weg getroffen hatten.
    Und dann?
    Sie wusste es nicht. Ihr Plan endete bei dem ersehnten Treffen mit dem Ketzer. Würde er die Trockenheit und die daraus resultierende Not beenden, würde er Cetus Einhalt gebieten können? Aber wie sollte ihm das gelingen? Es war eine Frage, die sie so weit wie möglich von sich schob. Im
Moment kam es nur darauf an, diesen Mann zu finden, darauf zu bauen, dass er noch lebte. Alles, was danach kommen könnte, verlor sich in einem diffusen Nebel.

    Gegen Abend begann es zu schneien, und rasch überzogen sich die Holzplanken mit einem weißen Schleier. Es sah aus, als sei durch ein unsichtbares Sieb Puderzucker gestreut worden.
    Ihre ganze Kindheit über hatte Talitha davon geträumt, einmal Schnee zu erleben, und lange Zeit nicht daran geglaubt, dass es einmal wahr würde. Nun strich sie mit den Fingern darüber und betrachtete die Flocken, die daran kleben blieben. Sie waren winzig, aber perfekt geformt, und erweckten den Eindruck von etwas Wunderschönem, aber auch unendlich Fragilem, Gefährdetem. Ganz ähnlich wie Nashira. Es reichte schon, einen Augenblick lang die Fingerspitzen zusammenzulegen, und schon lösten sie sich auf.
    Die beiden Flüchtenden wanderten weiter, während die Temperaturen am Abend immer weiter sanken. Im Wind, der um die Talareths herumpfiff, ächzten die Bretter des Baumpfads und schienen sich zu biegen, wenn eine Bö sie erfasste.
    »Hoffentlich sind wir bald da, sonst frieren wir ein«, bemerkte Talitha irgendwann und versuchte, ihr Zähneklappern zu unterdrücken.
    »Ein Gott scheint dich erhört zu haben«, antwortete Saiph, der vorausging und schon um die nächste Biegung lief. Sie schloss zu ihm auf und sah die Festung vor ihnen liegen.
    Sie klebte auf einem Felsen, der bis auf den mächtigen Talareth auf dem Gipfel vollkommen unbewachsen war. Ihre
höchsten Zinnen berührten die inneren Ästen des schützenden Baumes. Es handelte sich um einen riesigen Wachturm auf fünfeckigem Grundriss, der sich nach oben hin verjüngte. In seine klobigen Umrisse waren nur einige winzige Öffnungen eingelassen, die eher Schießscharten waren als Fenster. Der Weg hinein führte über eine schmale Brücke, die sich hoch über dem Abgrund spannte. Im Licht der untergehenden Sonne wirkte die Festung abweisend und bedrohlich, wie ein Ort der Finsternis und des Leids, vor allem aber uneinnehmbar. Talitha überkam für einen Augenblick ein Gefühl der Aussichtslosigkeit.
    »Wieder so ein Ort mit nur einem Zugang«, bemerkte Saiph.
    »Na wenn schon. Davon lasse ich mich nicht mehr aufhalten«, antworte sie, während sie die Fäuste unter ihrem Umhang ballte.

34
    T alitha und Saiph versteckten sich in einer kleinen Ausbuchtung hinter Ästen und Blättern, dort, wo der Baumpfad sich verzweigte und zu dem Brückchen über dem gähnenden Abgrund führte. Sie zogen die Umhänge fester um sich, um der Kälte zu trotzen, und warteten, dass die beiden Sonnen ganz untergingen.
    Im matten Licht der Monde wirkte die Landschaft immer gespenstiger: Wie greise, verkrüppelte Finger reckten sich Talarethäste zum Himmel, und die Festung war nur noch eine einzige düstere Fläche, die weiter oben von

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