Nashira
wach ...«
»Ja, Vater.«
Jetzt erst schien Megassa auch seine jüngere Tochter zu bemerken. »Was machst du denn hier? Habe ich dir nicht gesagt, du sollst deine Schwester in Ruhe lassen? Los, verschwinde«, befahl er.
Talitha warf Lebitha einen flüchtigen Blick zu, hatte aber nicht den Mut, sich dem Vater zu widersetzen. Wie so oft, verfluchte sie sich deswegen, kam aber nicht dagegen an. Sie verbeugte sich rasch, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich. Draußen lehnte sie sich mit dem Rücken an das Holz. Nach den vielen schlaflosen Nächten fühlte sie sich plötzlich furchtbar müde. Sie seufzte: Alles lag in den Händen der Heilerin dort hinter Tür.
Saiph trat aus dem Halbdunkel des Flurs. »Wie geht es ihr?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete das Mädchen. »Sie ist wach, und die Heilerin ist bei ihr.«
Saiph musterte seine Herrin und konnte nachempfinden, wie sie sich fühlen musste. Fünf Jahre zuvor war seine Mutter gestorben. Ein tragischer Unfall während der Arbeit: Sie hatte einen Kessel mit siedendem Wasser umgestoßen und war verbrüht worden. Drei Tage lang kämpfte sie um ihr Leben. Lebitha, von dem Vorfall unterrichtet, hatte es ermöglichen können, dass sich eine Heilerin um sie kümmerte. Doch es war zwecklos. Am Morgen des vierten Tags war seine Mutter verstorben. Saiph erinnerte sich noch sehr genau an dieses Gefühl entsetzlicher Ohnmacht und blinder Wut, das ihn damals fast völlig beherrscht hatte.
»Vielleicht braucht sie einfach nur Ruhe«, sagte er.
»Sie hat Blut gespuckt«, erwiderte Talitha trocken. »Ich weiß auch nicht, aber mir kommt es so vor, als verliere sie in diesem verdammten Kloster nach und nach die Seele. Jedes Mal, wenn ich sie nach einiger Zeit dort wiedersehe, kommt sie mir ein wenig verbrauchter vor. Dieser Ort ist schuld, das spüre ich.«
Saiph legte ihr eine Hand auf die Schulter und drückte sie fest. »Soll ich dir dein Zimmer zurechtmachen? Ein wenig Ruhe würde dir auch guttun. Du bist sehr blass.«
Seine Herrin schüttelte den Kopf. »Nein, mein Platz ist hier.«
Saiph ließ ihre Schulter los. »Es macht dir doch nichts aus, wenn ich auch bleibe?«
Talitha sah ihn lächelnd an. »Nein, mein dummer Sklave.«
Sie setzten sich nebeneinander auf den Boden, ohne ein weiteres Wort zu wechseln. Von jenseits der Tür drang kein Laut zu ihnen.
Der ersten Heilerin folgte nach einigen Tagen eine zweite, die ebenfalls die Kleine Mutter des Klosters von Messe zu Lebitha beordert hatte, und schließlich noch eine dritte, eine alte Frau, mit strengen Zügen, die eigens aus dem Reich des Frühlings angereist kam. Es hieß, sie sei die beste Heilerin von ganz Talaria.
Mittlerweile erhob sich Lebitha schon seit einer Woche nicht mehr aus dem Bett, und die Besuche, die man Talitha gestattete, wurden immer seltener.
»Mir wurde gesagt, dass es nur eine schwere Erschöpfung sei«, versuchte Lebitha die jüngere Schwester bei einer dieser
seltenen Gelegenheiten zu beruhigen. »Ich soll mir nur viel Zeit nehmen, um mich ganz zu erholen.«
Solche Erklärungen konnten die junge Gräfin längst nicht mehr überzeugen, doch ihre Schwester schien ganz gelassen und lächelte sie an.
»Freu dich doch«, sagte sie an einem Abend zu ihr, »du hast dich doch immer beklagt, dass wir uns so selten sehen, und jetzt habe ich eine Möglichkeit gefunden, mehr Zeit mit dir zu verbringen.«
Doch die Zweifel, die Talitha so zusetzten, ließen sich nicht zerstreuen. Lebitha wurde immer blasser, während auf den unteren Stockwerken – wie Saiph ihr verraten hatte – immer weiter blutgetränkte Taschentücher ausgewaschen wurden.
»Das kann nicht nur Erschöpfung sein«, machte sich Talitha in Saiphs Gegenwart Luft, als Lebitha sich auch am zehnten Tag noch nicht von ihrem Krankenlager erhoben hatte.
Sie hatte ihn in der Küche aufgesucht und saß nun neben ihm auf dem Fußboden, während er gierig die Essensreste verschlang, die sie für ihn aufgehoben hatte. Immer abgemagerter kamen ihr die Sklaven im Palast vor, und auch Saiph schien nicht gut bei Kräften zu sein. Er hatte ihr erzählt, dass man die Rationen für die Dienerschaft erneut gekürzt habe, und häufig quälte ihn der Hunger.
Als er fertig gegessen hatte, drehte er sich zu ihr um. Seine Herrin hatte das Kinn auf die Knie gestützt. Sie sah ernst und besorgt aus.
»Lebitha spuckt weiter Blut, und dann sind da immer diese Priesterinnen, die ihr nicht von der Seite weichen. Ich kann kaum einen
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