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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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Ja, dann würde ich mich vielleicht schon besser fühlen. Weißt du, woran sie gestorben ist? Kannst du mir das sagen?«
    Die letzten Worte hatte sie fast geschrien, und erschrocken flog ein Vogel im Garten auf. Dann verhallte das Rascheln, und vollkommene Stille breitete sich wieder aus.
    Und plötzlich überkam es sie: Die junge Gräfin begann zu schluchzen, kniff die Augen zusammen, um dagegen anzukämpfen, aber es war zwecklos. Sie hatte das Gefühl zu ersticken, fortgespült zu werden von den Strömen, in denen
ihre Tränen flossen, sie nicht aufhalten zu können, diese Flut, die alles überschwemmen und sie mit sich fortreißen würde.
    Saiph nahm sie fest in den Arm und half ihr vorsichtig von der Brüstung auf den vom Tau feuchten Fußboden des schmalen Balkons hinunter. Sie legte den Kopf auf seine Schulter und presste das Gesicht in seine weiche Haut. Saiphs Oberkörper wankte nicht, sein Griff war sicher, und plötzlich spürte sie, dass sie mit ihrem Schmerz nicht allein war.
    Erst als sie sich ganz beruhigt hatte, löste sie sich aus seinen Armen und wischte sich unwirsch die Tränen von den Wangen. Sie schämte sich für diesen Moment der Schwäche.
    »Geht’s dir besser?«, fragte Saiph.
    Sie nickte. Tatsächlich war ihr etwas leichter ums Herz, und sie konnte ihn ohne diese rasende Wut anschauen, die sie in den zurückliegenden Tagen beherrscht hatte.
    »Als meine Mutter gestorben ist, habe ich mich auch hoffnungslos allein gefühlt. So wie du jetzt«, sagte Saiph. »Aber dann ist mir klar geworden, dass es nicht stimmte. Sie hat mir so viel hinterlassen: All die Dinge, die sie mir beigebracht hat, die sie mir aus Büchern vorgelesen hat, all das, was mich zu der Person gemacht hat, die ich heute bin. Die Zeit, die wir mit denen verbracht haben, die wir lieben, ist nie verlorene Zeit. Sie bleibt uns immer erhalten.«
    Talitha richtete sich auf und lehnte sich über die Brüstung. Es war schon spät, und eine angenehme Brise kräuselte den leichten Stoff ihres Nachthemds.
    Beide schwiegen. Eine Grille zirpte in der Ferne ihr Liebeslied.
    »Eigentlich bin ich nicht gekommen, um dir solche Dinge
zu sagen, die du selbst genauso gut weißt, und auch nicht, um dich zum Essen zu bewegen«, fuhr der Junge fort. Er griff in eine Tasche und holte etwas hervor, streckte die Hand zu Talitha aus und öffnete sie. Auf seiner Handfläche schimmerte etwas Helles an einem schmalen Lederband, ein schön geschliffener Stein, der an einer Seite glatt abgeschnitten war.
    Sie wankte einen Moment.
    »Den gab sie mir an dem letzten Abend, als sie noch bei vollem Bewusstsein war. Sie trug mir auf, ihn dir zu geben, falls ihr etwas zustoßen sollte.«
    Langsam zog Talitha ihr eigenes Lederband hervor und streifte es über den Kopf. Kurz zögerte sie, bevor sie den Anhänger ihrer Schwester in die Hand nahm. Als ihre Finger ihn berührten, überkam sie das Gefühl, nun sei plötzlich wieder alles so wie an dem Tag, als sie ihren besonderen Stein fanden. Seit damals hatte sie den Anhänger ihrer Schwester nicht mehr berührt.
    Langsam führte sie die beiden Hälften zusammen. Obwohl seit damals fast dreizehn Jahre vergangen waren, fügten sie sich immer noch perfekt ineinander, und wenn man sie ein wenig gegeneinander presste, verschwand der Spalt, und die beiden Steine wurden wieder eins.
    »Daran wird sich niemals etwas ändern, verstehst du?«, sagte Saiph und zeigte auf den Stein. »Du und deine Schwester, ihr werdet auf ewig so verbunden sein, auch wenn sie nicht mehr unter uns ist.«
    Talitha nickte. Sie nahm die beiden Lederbänder und hängte sie sich um den Hals, lehnte sich dann wieder über die Brüstung und schaute in den stillen Garten hinaus.
    »Tut es später weniger weh?«, fragte sie, ohne sich umzudrehen.

    »Sie wird dir immer fehlen, aber mit der Zeit kommst du damit immer besser zurecht«, antwortete Saiph.
    »Danke, mein dummer Sklave.«
    Saiph lächelte. »Stets zu Diensten, Herrin.«
    Die junge Gräfin antwortete nicht und blickte nur weiter in die Dunkelheit hinaus.

6
    S aiph sollte Recht behalten. Der Schmerz war nicht ver-Sschwunden, aber Talitha schaffte es nun, ihn zu ertragen, und weiterzuleben. Während im Palast, nach einigen vorgeschriebenen Trauertagen, alles bald wieder seinen gewohnten, hektischen Gang nahm, konzentrierte sie sich mit allen Kräften und Sinnen ganz auf ihre Ausbildung bei der Garde. Den Schmerz in Zorn zu verwandeln, schien ihr der einzig mögliche Weg, mit den Geschehnissen

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