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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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Schritten vorausging. Am liebsten hätte sie gefragt, wie weit es denn noch sei, aber auch sprechen durfte sie nicht, und so hob sie nur hin und wieder den Blick, um zu prüfen, ob sie das Kloster vielleicht schon zwischen den Zweigen erkennen konnte.
    »Der Erste Aufstieg ist eine heilige Handlung«, hatte ihr die Kleine Mutter erklärt. »Die Anstrengung, die du verspüren wirst, jedes schmerzhafte Ziehen deiner Muskeln, ist eine Gabe an Alya, das erste der zahlreichen Opfer, die du der Göttin noch darbringen wirst. Es ist dir nicht gestattet, den Ritus durch Worte zu entweihen. Sobald dein Fuß die erste Stufe berührt hat, bleibst du nicht mehr stehen, und kein Wort soll über deine Lippen kommen, bis wir am Ziel angelangt sind.«
    Plötzlich konnte Talitha etwas zwischen den Blättern erkennen. Sie hielt den Atem an und blieb einen Augenblick stehen.

    »Du sollst nicht stehen bleiben!« Wieder fuhr die herrische Stimme der Kleinen Mutter sie an.
    Sie hasste die Frau jetzt schon. Ihre Beine flehten um Gnade, als sie die letzten Stufen nahm, während sich vor ihr ein Anblick ausbreitete, der ihr den Atem nahm. Auf einer Höhe von achthundert Ellen erhob sich das Kloster im Geäst des Talareths, genau dort, wo sich der Stamm in Dutzende enorme Äste verzweigte, die sich wiederum in Hunderte kleinere Äste gabelten. Alle Gebäude, die zu dem Kloster gehörten, befanden sich auf unterschiedlichen Höhen und waren durch ein Gewirr von Metalltreppen und Seilzügen miteinander verbunden. Zusammen bildeten sie ein Rund, das Talitha an bestimmte dunkelbraune Pilze erinnerte, die sie im Garten ihres Palastes zu Hause gesehen hatte. Alle Bauten waren aus Talareth-Holz gefertigt, das die Sonne im Laufe der Jahre etwas ausgeblichen hatte, und die Fassaden waren kunstvoll mit hölzerner Bögen, Spitztürmchen und Fialen verziert. Weiter verschönert wurden die Gebäude durch Pflanzenornamente, die sich um schlanke Säulen wanden, die wie von Bändern zusammengefasste Blumenstängel geformt waren. Das Wappen des Klosters, eine rote Blume vor dem Hintergrund eines bestellten Feldes, war überall zu sehen. Längs der Gebäude verliefen Arkaden, die wahrscheinlich meditativen Spaziergängen dienten.
    Die Hauptgebäude, die die anderen noch einmal an Größe und Schönheit überragten, erregten Talithas Aufmerksamkeit. Eines war ein schmales Bauwerk, das im Gegensatz zu den anderen von einem Metallgerüst getragen wurde, in das Paneele eingefügt waren, die mit zahlreichen Intarsien verziert waren. Den halbkreisförmigen Bau krönte eine herrliche Kuppel aus Metall und bunt getöntem Glas. Oben auf
dem Scheitelpunkt erhob sich die Statue einer schlanken Frau, die einen Blumenstrauß in der Hand trug und offensichtlich schwanger war. Kein Zweifel, dies musste die Göttin Alya sein, und das hieß, dass dieses Gebäude der Tempel war.
    Links und rechts davon standen zwei niedrigere, rechteckige Gebäude, in deren Fassaden kleine Fenster mit farbigen Scheiben eingelassen waren, und daneben, ein wenig abseits, noch ein dritter Bau, der wie ein mit verschiedenen Glaskuppeln besetzter Würfel aussah.
    Die Treppe, die die junge Gräfin so mühsam hinaufgestiegen war, endete an einer breiten, hölzernen Plattform, die zu dem halbkreisförmigen Gebäude führte. Darauf hatte eine Gruppe rotgewandeter Priesterinnen Aufstellung genommen, sowie vielleicht dreißig Kinder und junge Mädchen bis zu Talithas Alter, die die gleichen Gewänder wie sie selbst trugen. Alle knieten nieder, als die Kleine Mutter die Plattform betrat. Sie breitete die Arme aus und bedeutete so den Priesterinnen und Novizinnen, sich wieder zu erheben. Dann wandte sie sich Talitha zu, die begriff, dass sie sich niederknien musste.
    »Willkommen im Kloster von Messe. Heute lässt du dein weltliches Leben hinter dir, um der Gnade eines der Göttin Alya geweihten Lebens teilhaftig zu werden.«
    Nun trat eine Priesterin mit einem Messingbecken in Händen vor, das mit duftendem Wasser gefüllt war, aus dem die Stiele roter Blumen herausragten. Die Kleine Mutter nahm die Blumen heraus und besprengte mit den Knospen zunächst Talithas Kopf, dann die der ganzen Gesellschaft.
    »Hiermit weihe ich dich zur Schwester.«
    Endlich durfte das Mädchen aufstehen, woraufhin die
Versammelten ihr kurz applaudierten, was ihr allerdings keinerlei Freude bereitete. Sie war todmüde und sehnte sich danach, ein wenig allein zu sein.
    Die Kleine Mutter sprach kurz mit einer Priesterin, die ein

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