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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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Sträuße verschiedenster Blumen. Ihre Gesichtszüge strahlten eine undurchschaubare Ruhe aus. Dies war Alya, die Göttin, der Talitha ihr ganzes bisheriges Leben hatte opfern müssen, und dennoch konnte sie sich ihrer Ausstrahlung nicht entziehen. Alya wirkte so schön, so mütterlich, so beschützend, dass man ihr nichts Böses hätte zutrauen können. Und das Mädchen überlegte, dass man für ein solches Wesen vielleicht tatsächlich auf sein eigenes Leben verzichten konnte. Und sei es nur, um einen Moment lang in diese Augen zu schauen.
    Plötzlich stieß jemand Talitha von hinten an. Sie fuhr herum und sah ein Mädchen ungefähr in ihrem Alter. »Beweg dich, du hältst alle auf«, sagte sie unfreundlich. Ihr Gesicht
mit der langen, geraden Nase und den wohlgeformten Lippen war schön, strahlte aber auch etwas Kaltes aus. Sie ging an Talitha vorbei und nahm in einem abgetrennten, von einem niedrigen Geländer eingefassten Bereich gleich vor dem Altar Platz. Zusätzlich gab es vier Bankreihen, die halbkreisförmig zwischen den Säulen angeordnet waren, und Talitha fragte sich, wo sie sich wohl hinsetzen sollte. Die komplizierten Klosterregeln waren ihr immer noch ein Rätsel, und eine erneute Bestrafung im Refektorium wollte sie gerne vermeiden.
    »Suchst du deinen Platz?«, fragte eine Stimme neben ihr. Talitha drehte sich um und blickte in das Gesicht eines fülligen jungen Mädchens, das sie mit einem kindlichen Lächeln anschaute.
    »Ja«, antwortete sie. »Ich bin neu und heiße Talitha ...«
    »Das weiß ich doch. Dich kennen alle. Ich heiße übrigens Kora«, sagte die andere, wobei sie eine Hand an die Stirn legte. »Komm mit, ich zeig dir deinen Platz.«
    Sie folgte ihr bis zu dem abgetrennten Bereich vor dem Altar und sah, dass sich dort innerhalb kürzester Zeit alle Bänke gefüllt hatten.
    »Ich sitze hier hinten«, sagte Kora und fügte erklärend hinzu: »Ich bin nicht die Tochter so hochstehender Eltern.«
    »Danke«, murmelte Talitha.
    »Gern geschehen. Ich weiß ja noch, wie man sich fühlt, wenn man ganz neu ist.« Sie verabschiedete sich mit einer Handbewegung und verschwand in Richtung der hinteren Bänke.
    Talitha fand noch einen freien Platz, nur wenige Ellen vom Altar entfernt. Es war ein Block aus hellem Stein, der kunstvoll bemalt war, und vor einem Altarbild aus dunklerem
Stein stand. Talitha hatte kaum Zeit, sich weiter umzusehen, denn eine Zelebrantin trat ein, und der Gottesdienst begann.
    Die ersten Gesänge erklangen, in die das Mädchen nur widerwillig und kaum vernehmbar einstimmte. Sie hatte noch nie gern gesungen, besonders dann nicht, wenn andere sie hören konnten. Währenddessen nahm das Licht im Tempel langsam mehr und mehr zu, bis plötzlich durch eine Öffnung, die sich gleich über dem Eingang befinden musste, ein einzelner feiner Sonnenstrahl schräg in den Raum fiel. Er schnitt durch die gesättigte Luft im Tempel, brach sich am Altar, und das Altarbild erstrahlte: So als flöße glühende Lava durch schmale Rinnen, zeichneten sich auf dem dunklen Stein goldene Linien ab, bis plötzlich das herrliche und gleichzeitig furchterregende Antlitz einer Frau zu erkennen war. Lichtüberflutet schien sie mit halbgeschlossenen Augen und strenger Miene auf die Priesterinnen herabzuschauen. Ihr Haupt war mit einem wunderschönen Knospenkranz gekrönt, und das Haar fiel ihr weich, mit großen, verschlungenen Locken auf die Schultern. Dies war Mira.
    Staunend, mit offenem Mund, beobachtete Talitha, wie das Licht immer noch zunahm und sich die goldenen Linien des Altarbildes mehr und mehr in einem so grellen Lichtschein auflösten, dass man fast den Blick abwenden musste. Da brachen die Gesänge ab, die Zelebrantin beendete den Gottesdienst, und wie ein einziger Strom verließen Priesterinnen und Novizinnen den Tempel, um sich ihren täglichen Verrichtungen zuzuwenden. Als Letzte erhob sich Talitha und stieß am Rande des Trenngitters wieder auf Kora, die offensichtlich dort auf sie wartete.
    »Beeindruckend, was?«, sagte sie, als sie den immer noch staunenden Gesichtsausdruck der Neuen erkannte.

    »Ja, wunderschön dieses Altarbild ... Aber wie ...«, stammelte Talitha mit immer noch staunender Miene.
    »Die Rinnen sind mit Nitit gefüllt, einer Substanz, die leuchtet, wenn Miravals Strahlen sie treffen«, erklärte Kora. »Ja, das Magische verfliegt, wenn man erst mal weiß, was dahintersteckt. Komm mit, du bist mit uns in einer Gruppe«, fügte sie hinzu und ergriff ihren

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