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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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Arm.
    Talitha zuckte zusammen. Sie mochte es nicht, wenn Fremde sie berührten, es sei denn, es wäre im Kampf unvermeidlich. Doch offensichtlich meinte Kora es gut mit ihr, und so folgte sie ihr.
    Während sie den Tempel durchquerten, fielen ihr verschiedene Nischen auf, in denen kleine Altäre aufgestellt waren. Die Mosaiken, mit denen die Wände verkleidet waren, stellten die Essenzen, also die Dienerinnen der Göttin Alya, dar. Einige, deren Kult in ganz Talaria, besonders im ungebildeten Volk, weit verbreitet war, erkannte sie wieder. Es war Brauch, sich mit allen Möglichen Sorgen und Wünschen an sie zu wenden, und jede dieser Göttinnen beschützte eine menschliche Handlung. Talitha hatte gehört, dass es sogar eine Göttin gab, die speziell die Diebe beschützte.
    In einer der abgeschiedensten Nischen erkannte sie einen länglichen, metallisch schimmernden Gegenstand, den sie für irgendeine Waffe hielt. Aber es blieb ihr keine Zeit mehr, ihn näher zu betrachten, weil sie vor Schwester Dorothea angelangt waren, die am Ausgang auf sie wartete.
    »Na, was ist, Talitha aus Messe? Willst du uns auch heute Abend wieder mit einer erbaulichen Lektüre erfreuen?«
    Gesprochen hatte das blonde Mädchen, das sie vor dem Gottesdienst gestoßen hatte. Umgeben von einigen anderen Mädchen, die kicherten, hatte sie zu ihr aufgeschlossen.

    »Lass sie, Grele, du weißt doch, dass sie neu ist«, mischte Kora sich ein.
    »Dich hat niemand um deine Meinung gefragt«, fuhr ihr die andere über den Mund. Dann blickte sie wieder Talitha an. »Ich glaube, du hast eine neue Glanzleistung erbracht: noch nicht einmal einen Tag hier, und schon eine öffentliche Bestrafung.«
    Talithas Blick verhärtete sich, und schon setzte sie zu einer passenden Antwort an, als Kora ihre Hand ergriff und sie fortzog. »Komm, das hat keinen Sinn. Du willst doch nicht wegen der wieder Ärger bekommen?«
    »Wer ist das eigentlich?«, fragte sie.
    »Sie heißt Grele. Und sie mag es nicht, wenn Konkurrentinnen auftauchen«, antwortete Kora geheimnisvoll und wollte offensichtlich das Thema wechseln.
    Schließlich gelangten sie in einen großen Saal, in den das Licht der beiden Sonnen ungehindert durch eine große Glasfassade fiel. Schwester Dorothea nahm ihren Platz hinter einem Pult ein, auf dem ein großes Buch lag, und die Mädchen huschten in die Bänke. Die Erzieherin öffnete das Buch und blätterte eine ganze Weile darin herum, während unter den Mädchen die Anspannung wuchs.
    Schließlich hob sie den Blick. »Grele, von dir möchte ich den Gesang des Sommers hören.«
    Grele stand auf und begann mit klarer, heller Stimme, die Verse zu rezitieren. Immer zufriedener wirkte Schwester Dorotheas Miene, und als die Novizin geendet hatte, nickte sie ihr lächelnd zu: »Sehr schön. Wie immer sehr schön.«
    »Alya steht mir bei«, antwortete das Mädchen und nahm dann, unter den bewundernden Blicken der Kameradinnen, wieder Platz. Für Talitha war nicht zu übersehen, dass diese
Grele einen großen Einfluss auf die anderen ausübte, dass sie zu kommandieren gewohnt war, noch bevor sie ins Kloster kam.
    »Talitha, erhebe dich!«, riss Schwester Dorothea sie aus ihren Gedanken.
    Langsam stand sie auf, während sich die Blicke aller auf sie richteten.
    »Wir alle erwarten uns große Dinge von dir«, begann die Erzieherin und sah ihr direkt in die Augen. »Deine Schwester war eine hochbegabte Priesterin mit einer bewundernswerten Resonanz. Wir hoffen, dass du es ihr nachtust oder sie sogar übertriffst.«
    »Ja ... Schwester«, zwang sich das Mädchen zu antworten.
    »So trage nun den Gesang vierhundertzwölf vor.«
    Talithas Herz setzte einen Schlag aus. Wie konnte die Erzieherin denn erwarten, dass sie am ersten Tag auch nur von diesem Gesang gehört hatte?
    »Diesen Gesang kenne ich nicht, Schwester.«
    Schwester Dorothea setzte eine verwunderte Miene auf. »Aber das ist doch einer der bekanntesten Gesänge überhaupt. Gut, dann eben zweihundertsieben.«
    Talitha biss sich auf die Lippen, während Grele sie mit einem triumphierenden Lächeln beobachtete.
    »Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass du den auch nicht kennst?«
    »Doch.«
    »Du versetzt mich in Erstaunen. Was für eine Erziehung hast du denn zu Hause genossen? Dann trage eben einen anderen Gesang vor, irgendeinen, den du kennst. Wenigstens einer wird dir ja wohl bekannt sein.«
    Hektisch durchforstete Talitha ihr Gedächtnis. Und tatsächlich
tauchte irgendwo im hintersten Winkel

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