Nashira
Hände hob. Nur mühsam kamen ihm die Worte über die Lippen.
»Dann beweg dich!«, knurrte der Aufseher und versetzte ihm noch einen Tritt gegen das Schienbein.
Während Saiph davonhumpelte, dachte er, dass seine Herrin dringend eine Möglichkeit finden sollte, aus dem Kloster zu verschwinden: Lange würde er das nicht durchhalten, um ihr zu helfen.
Talitha schrak auf, als die Glocke zum Mittagessen läutete. Ihr Kopf war schwer und schmerzte. Die historische Abhandlung hatte sich schnell als todlangweilig herausgestellt, und sie hatte ihre ganze Konzentration gebraucht, um nicht immer wieder den Faden zu verlieren und sich die wichtigsten Fakten zu notieren. Immerhin ging es um ein Thema, das ihr nicht völlig fremd war: Der Antike Krieg hatte sie immer schon interessiert, und auch die wechselvolle Geschichte ihres Hauses, in der es von Verschwörungen, Konflikten und Schlachten nur so wimmelte. Aber die Lektüre war eben kaum verdauliche Kost.
Im Refektorium angekommen, schaute sie sich sofort nach Saiph um. Wie am Vorabend hatten die Sklaven sich wieder im hinteren Teil des Raums aufgestellt, doch er war nicht dabei.
Während die anderen Novizinnen zu ihren Plätzen schwärmten, blieb Talitha in der Mitte des Saales stehen.
»Beeil dich, wir müssen sitzen, wenn die Kleine Mutter reinkommt«, murmelte Kora.
Doch das Mädchen rührte sich nicht. »Mein Leibdiener ist nicht da.«
Kora ließ den Blick an der Reihe der Sklaven entlanggleiten. »Meiner auch nicht, aber das kommt schon mal vor.«
»Aber heute Morgen hat er auch schon gefehlt.«
Kora wusste nur zu gut, dass Talitha Grund hatte, sich wegen ihres Sklaven Sorgen zu machen. »Ich bin sicher, ihm geht es gut«, sagte sie jedoch.
»Gestern Abend wurde er sofort bestraft.«
»Auch das kommt manchmal vor. Hier oben herrschen eben strenge Sitten.«
»Er ist aber mein Sklave. Ich hab zu entscheiden, wann er bestraft werden soll.«
»Komm schon, Talitha, wir müssen uns wirklich setzen. Deinen Sklaven kannst du später noch suchen.« Damit ergriff sie ihren Arm.
Die folgte ihr widerwillig und setzte sich neben sie.
Das Essen war karg: eine wässrige Suppe mit Beeren und Seealgen, in der auch vereinzelt einige Fischstückchen schwammen. In vollkommener Stille nahmen die Novizinnen ihre Mahlzeit ein, und auch Talitha kam nicht auf den Gedanken, das Schweigegebot zu verletzen. Am frühen Nachmittag hatten sie dann eine Stunde zur freien Verfügung, die üblicherweise zum Ausruhen in den Unterkünften genutzt wurde. Obwohl das Mädchen viel lieber nach Saiph gesucht hätte, ging sie mit Kora hinaus auf eine der Plattformen, lehnte sich
dort über die Brüstung und versuchte, durch das Laubwerk Messe zu erkennen.
»Ich bin auch aus Messe«, sagte Kora, »wir wohnen am Stadtrand, meine Eltern sind Kaufleute.« Dann wandte sie sich zu Talitha und fügte mit einem Lächeln hinzu: »Ich hab dich da übrigens schon mal gesehen. Du bist an unserem Laden vorbeigekommen, wahrscheinlich warst du mit der Garde unterwegs. Du sahst so toll aus, wunderschön, wie ein echter Krieger.«
Talitha verspürte einen Stich im Herzen. Dieses Leben lag so unglaublich weit zurück, wie ein Traum, der leider zu Ende war.
»Und dann hab ich dich bei den Zeremonien gesehen, neben deinem Vater. Das gefällt mir am Kloster: In Messe könnte ich nicht so neben dir stehen und mit dir reden. Hier hingegen bist du einfach meine Mitschwester, auch wenn du eines Tages zur Kleinen Mutter aufsteigen wirst.«
»Das hat sich mein Vater ausgedacht.«
»Und Grele hasst dich deswegen: Bisher glaubte sie, selbst dazu ausersehen zu sein. Aber es ist immer noch möglich, dass sie dir das Amt vor der Nase wegschnappt.« Talitha blickte sie fragend an, und Kora fuhr fort: »Hier im Kloster herrschen andere Gesetze als in Messe. Auch wenn dein Vater die Sache so eingefädelt hat, könnte sich auch alles noch einmal ändern. Vor allem dann, wenn du dich als sehr schlechte Novizin erweist.«
Talitha seufzte. »Das habe ich schon getan.«
Kora lächelte wieder. »Ach, halb so wild. So ergeht es allen am ersten Tag. Aber du lernst es noch. So wie wir alle, und das sehr schnell.«
Talitha wollte gerade etwas erwidern, als sie auf der anderen
Seite der Plattform, dort wo der Küchentrakt lag, jemanden entdeckte, dessen schlanke Gestalt unter der Last eines riesengroßen tropfenden Abfallsackes gebeugt war. »Saiph!«, rief sie und lief zu ihm, ohne sich an den empörten Blicken der Priesterinnen zu
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