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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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es möglich, dass ich alleine hineingehe?«
    »Nur zu«, antwortete diese und trat einige Schritte zurück.
    Das Mädchen legte die Hand an die Tür und stieß sie auf.
    Das helle Licht des Nachmittags durchflutete das Zimmer, das fast doppelt so groß war wie ihr eigenes. An einer Wand standen ein Bett mit eisernem Gestell und eine Truhe. Vor dem Fenster war der Schreibtisch aufgestellt, und die beiden übrigen Seiten wurden ganz von hohen, vollen Bücherregalen eingenommen. Ihre Schwester hatte schon damals im Palast gerne gelesen, daran konnte sich Talitha gut erinnern, und sie war immer eine hervorragende Schülerin gewesen.
    Der ganze Raum erinnerte sehr schmerzlich an sie: Wie die Decken auf dem Bett lagen, wie die Pergamentseiten auf dem Schreibtisch angeordnet waren, wie die Luft roch, die in dem Zimmer stand. Alles war auf so traurige Weise von ihrer Anwesenheit durchdrungen, dass Talitha ganz schwindlig
wurde. Es kam ihr so vor, als stehe Lebitha wieder vor ihr, so schön und frohgemut, wie sie es immer gewesen war.
    Sie zog die Tür hinter sich zu, warf einen letzten Blick in den Raum, wie er sich in diesem Moment präsentierte, und machte sich dann an die Arbeit.
    Beim Bett begann sie. Sie hob die Decken an, tastete zwischen den Falten des Betttuchs, untersuchte die Matratze. Nichts. Also weiter zum Schreibtisch zu den Blättern, die dort lagen. Der Anblick von Lebithas ordentlicher Handschrift schnürte ihr die Kehle zu. Sie versuchte zu verstehen, was sie geschrieben hatte, fand aber nur Stichpunkte zu religiösen Themen, mit denen sie beschäftigt war, eine Abhandlung über die Besonderheiten des Luftkristalls – Notizen einer fleißigen Priesterin eben. Die Gewissenhaftigkeit, mit der sich Lebitha dem Willen ihres Vaters unterworfen hatte, ließ eine dumpfe Wut in ihr aufkommen. Warum hatte sie sich nicht widersetzt? Warum war ihr so leichtgefallen, was für sie, Talitha, unmöglich war: das Haupt zu beugen und sich dem Willen eines Mannes zu entwerfen, der die eigenen Töchter als Werkzeug zur Machterlangung missbrauchte?
    Der Reihe nach durchsuchte sie alle Schubladen, schaute auch darunter nach, ob sich dort vielleicht ein Geheimfach verbarg. Nichts. Sie schob die Bücher und Pergamente auf den Regalen zur Seite und räumte sie teilweise zu Boden, um das Holz genauer zu untersuchen. Wieder nichts. Als sie schon aufgeben wollte, erkannte sie plötzlich, während sie die letzten Bücher wegschob, eine rundliche Form, die mit der Spitze einer Schreibfeder ins Holz geritzt war. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Was sie da vor sich sah, war der genaue Umriss des ganzen Steins, den sie und Lebitha schwesterlich geteilt hatten. Sie strich mit den Fingern darüber und
stellte sich vor, wie ihre Schwester, wahrscheinlich in tiefster Nacht, diese Zeichnung angefertigt hatte. Dabei spürte sie plötzlich an den Fingerspitzen, dass die Ränder noch tiefer eingekerbt waren. Rasch holte sie die beiden Anhänger aus der Tasche unter dem Gewand hervor und fügte sie zusammen. Ihre Hände zitterten, als sie den ganzen Stein auf die Zeichnung legte. Bild und Stein passten genau übereinander.
    Sie drückte ein wenig, und tatsächlich, das Holz gab nach, sodass der Stein bis zur Hälfte darin verschwand. Aber mehr tat sich nicht. Fester noch presste sie den Stein hinein, aber das Holz gab nicht weiter nach. So versuchte sie, ihn in der Vertiefung zu drehen. Es quietschte leise, und plötzlich bewegte sich der Bücherstapel neben der Gravur und landete mit einem lautem Rumms am Boden. Das Mädchen schrak zusammen und trat einen Schritt zurück. Schon öffnete sich die Zimmertür, aber nur einen Spalt.
    »Alles in Ordnung, Talitha?«
    »Ja, Schwester, ich hab nur ein Buch aus dem Regal ziehen wollen, da sind mir die daneben runtergefallen.«
    Eilig untersuchte sie das Regal, von dem die Bücher zu Boden geknallt waren. Der untere Teil war vorgesprungen, hatte dabei den Stapel gekippt und eine kleine Schublade zum Vorschein gebracht. Um hineinschauen zu können, musste Talitha sich auf Zehenspitzen stellen. Sie schrak zusammen, als sie sah, was sie enthielt: eine dünne Pergamentrolle und einen goldenen Schlüssel, in den verschlungene Muster eingraviert waren. Das Pergament war offensichtlich von einem größeren Blatt abgerissen und mit einer ganz einfachen Zeichnung versehen worden: Sie zeigte eine Ellipse, in die zwei Kreise, ein größerer und ein kleinerer, eingelassen
waren. Sonst stand nichts darauf. Aber auf

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