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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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sich aus dem Schacht und half dann Saiph hinaus. Völlig außer Atem ließen sie sich erschöpft auf den Boden sinken. Seltsam, fast metallisch roch die Luft hier oben, schien zu stark gesättigt, sodass sie schwer zu atmen war, fast unerträglich rein. Nach einer Weile öffnete sie die Augen. Über ihnen wölbte sich ein Zelt von undurchdringlicher Dunkelheit, das mit Tausenden und Abertausenden von Lichtern gesprenkelt war. Der Himmel. Die Sterne. Ihr Herz bebte. Sie hatte Angst, aber in die Angst mischte sich eine eigentümliche Erregung. In diesen Himmel zu schauen, bedeutete Freiheit, eine Freiheit, die, nach dem Willen der Priesterinnen, niemandem außer ihnen selbst vergönnt sein sollte.
    Mühsam rappelten sie sich auf, und ein Schwindel erfasste sie. Sie fühlten sich schwach, eine Schwäche, die nicht nur von der Gefangenschaft oder der anstrengenden Flucht herrührte. Vor ihnen zeichnete sich ein immenser Luftkristall ab, der in einem warmen blauen Licht strahlte. Jeden Tag luden ihn die Orantinnen mit ihren besonderen Magie auf, sodass er vierundzwanzig Stunden lang die Luft für die gesamte Stadt speichern konnte. Am nächsten Morgen kehrten sie zurück und begannen wieder von vorn, eine kräftezehrende Aufgabe, auf die Lebitha ihr ganzes Leben eingestellt hatte.

    Reglos stand Talitha da und kam sich ganz klein vor neben den Umrissen dieses Giganten, von dem alles Leben dort unten in der Stadt Messe abhing.
    Der Stein weiß, weshalb meine Schwester gestorben ist, dachte sie.
    Immer schwindeliger wurde ihr, und sie schwankte und fiel auf die Knie. Saiph ergriff ihren Arm.
    »Dieser Koloss tut uns nicht gut«, sagte er, nach Luft ringend und mit zitternden Beinen. Das Mädchen nickte und richtete sich auf. Langsam krochen sie von dem Licht des Luftkristalls fort. Sie befanden sich in der Krone des Talareths, mindestens neunhundert Ellen über dem Erdboden, und um sie herum waren nur Blätter und Äste. Je weiter sie das Licht hinter sich ließen, desto besser fühlten sie sich. Und da begriff Talitha: Die Orantinnen erkrankten durch den Kontakt mit dieser enormen Energiequelle. Deswegen hatte Lebitha sterben müssen.
    Sie haben dafür gesorgt, dass der Luftkristall ihre Lebenssäfte aufsaugt , dachte das Mädchen, während ein ungeheurer Hass sie überkam. Nur der Gedanke, wie die Priesterinnen, einige Dutzend Ellen unter ihnen, Feuer gefangen hatten, konnte sie ein wenig besänftigen. Doch bald wurde die Erinnerung von dem Bild verdrängt, wie Schwester Pelei brennend in die Tiefe stürzte, und nur mit Mühe konnte sie die Tränen zurückhalten.
    »Und nun?«, fragte Saiph. Er war furchtbar erschöpft. Ohnehin geschwächt durch die Schwerstarbeit und die Gefangenschaft, hatte ihn die Anstrengung des Kletterns die letzten Kräfte gekostet.
    Talitha zog die Nase hoch und kniff die Augen zusammen. »Und nun müssen wir weg.«

20
    D er Brandgeruch hatte ganz Messe geweckt, und neugierig waren die Bewohner auf den Straßen zusammengeströmt, um zu erfahren, was passiert war: Sie sahen die lange Prozession der Priesterinnen und Novizinnen die Treppe entlang des Talarethstammes vom brennenden Kloster herunterkommen, sahen den feinen Regen des Wassers herabrieseln, mit dem man oben zu löschen versuchte. Auch Graf Megassa war mitten in der Nacht von Schreien geweckt worden und hatte sofort eine schlimme Vorahnung gehabt: Sie war es . Das war meine wahnsinnige Tochter . Daher hatte er sich auch nicht mehr gewundert, als ihm die Ankunft der Kleinen Mutter und ihres Gefolges im Palast gemeldet wurde: Den Grund für ihren Besuch kannte er da schon.
    »Was da geschehen ist, ist so unerhört, dass ich es selbst immer noch nicht glauben kann«, sagte die betagte Priesterin, nachdem sie von Talithas Taten im Kloster berichtet hatte.
    Megassa kniete auf dem harten Fußboden des Saals und bebte vor Wut, während er mit den Zähnen knirschte und sich mühte, Zorn und Scham zu unterdrücken. »Ich bin sicher, dass allein der Sklave dahintersteckt«, sagte er und hob den Kopf.
    »Wollt Ihr unsere Intelligenz beleidigen?«, fuhr ihn die Kleine Mutter an. »Der Sklave hing angekettet im Kerker, als das Feuer ausbrach.«
    »Verzeiht, es ist nicht meine Absicht, Eure Worte in Zweifel
zu ziehen. Ich weiß ja, dass meine Tochter nicht von sanftem Wesen ist, aber ich halte es für ausgeschlossen, dass sie zu solch einem Zerstörungswerk fähig sein könnte«, log der Graf.
    »Ich habe an ihrer Schuld nicht die leisesten Zweifel«,

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