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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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erwiderte die Kleine Mutter entschieden, so als seien ihre Worte absolut unwiderlegbar. »Eure Tochter hat eine Mitschülerin entsetzlich verbrannt. Sie hat Verbas Schwert gestohlen. Und sie ist in Begleitung des befreiten Sklaven geflohen. Welche Beweise braucht Ihr noch für ihre Schuld?«
    Megassa wusste nicht, was er antworten sollte. Die Beredsamkeit, mit der er sich normalerweise aus schwierigen Situationen zu helfen verstand, schien ihn im Stich zu lassen. Also setzte er alles auf eine Karte.
    »Wenn Ihr mir die Feststellung erlaubt«, sagte er, wobei er der Kleinen Mutter direkt in die Augen sah, »würde es Eurem Kloster nicht gut zu Gesicht stehen, wenn sich in der Stadt die Nachricht verbreitete, dass die Schuldige an der Feuersbrunst eine Novizin ist, die Ihr nicht in den Griff bekommen habt. Das Volk würde darin ein Versagen Eurerseits erkennen.« Ich würde alles tun, damit diese Untat nicht mein eigenes Haus befleckt .
    Die Kleine Mutter schien seine Gedanken zu erraten. »Was schlag Ihr also vor, Graf?«
    »Ich bin überzeugt, dass der Femtit meine Tochter gezwungen hat, das Kloster mit all seinen Lehren und Geboten zu verraten. Wahrscheinlich mit Gewalt. Jedenfalls würde ich an Eurer Stelle öffentlich verkünden, dass der Sklave, seinem Wesen nach bösartig und frevelhaft wie alle Angehörigen seiner Rasse, das Kloster in Brand gesteckt und eine Novizin entführt hat.«

    Angespannte Stille machte sich im Saal breit.
    »Das würde allerdings auch das Eingeständnis eines Versagens von unserer Seite bedeuten. Das Eingeständnis, dass wir nicht in der Lage waren, für Disziplin unter unseren Sklaven zu sorgen«, gab die Kleine Mutter zu bedenken.
    »Gewiss, aber das wäre meiner Einschätzung nach das kleinere Übel. Glaubt Ihr nicht? Niemand vertraut den Sklaven, alle wissen, wie gefährlich sie sind. Und was meine Tochter betrifft ... so hat sie sich in erster Linie gegen mich vergangen, und gegen alle Mitglieder ihrer Familie. Ich werde sie fassen, koste es, was es wolle, und sie und den Sklaven so schwer bestrafen, wie sie es verdient haben.«
    »Den Sklaven wollen wir«, sagte die Kleine Mutter trocken. »Eine Schändung, wie er sie begangen hat, muss vom Klerus bestraft werden. Allerdings: Wenn Ihr die Flüchtigen nicht bald ergreift, werdet Ihr an erster Stelle für die Vorgänge zu büßen haben, Graf.«
    »Wir werden sie bald finden, dessen könnt Ihr gewiss sein«, versprach Megassa, wobei er so tief seinen Kopf neigte, dass er mit der Stirn den Boden berührte.
    Die Kleine Mutter verabschiedete sich mit ihrem Gefolge und ließ ihn allein im Saal zurück.
    Kaum hörte Megassa, wie das Rauschen ihrer Gewänder im Korridor verklungen war, ließ er seiner ganzen aufgestauten Wut freien Lauf. Mit großen Schritten polterte er durch den Raum, warf Stühle und Tische um und fegte, was herumstand, von den Regalen. Wie konnte sie es nur wagen? Wie konnte sie es nur wagen?, fluchte er unablässig dabei.
    Irgendwann blieb er stehen und atmete tief durch. Er musste einen kühlen Kopf bewahren. Die Lage war zwar ernst, aber noch nicht verloren. Die beiden würden nicht
weit kommen: Sie hatten keine Ahnung von der Welt. Er würde sie finden, und dann Gnade ihnen die Götter. Der Sklave würde den Strafstock zu spüren bekommen, bis er den Verstand verlor, und dann würde er ihm mit eigenen Händen die Haut vom Leibe reißen. Und seine Tochter, seine Tochter ...
    Der wird die Lust am Ungehorsam schon vergehen, schwor er sich. In Zukunft wird sie folgsam tun, was ich ihr sage. Denn nun wird sie mich kennenlernen, mich und meinen Zorn. Und danach wird sie nie mehr den Mut finden, sich gegen mich aufzulehnen.
    Erhobenen Hauptes verließ er, vorbei an seiner zitternden Dienerschaft, stolzen Schrittes den Raum. Nichts und niemandem würde er es fortan erlauben, sich ihm in den Weg zu stellen.

DRITTER TEIL

    AUS DEM TAGEBUCH VON BEMERA,
KERKERMEISTER DER GARDE IN ALEPHA
     
    Sein Gesicht war verhüllt, als man ihn herbrachte, aber mir ist sofort aufgefallen, wie groß er ist, größer als jeder Femtit oder Talarit, den ich je gesehen habe. Seine Gestalt jagte mir eine merkwürdige Angst ein. Weil er anders ist, das spüre ich. Als ich ihm das Essen brachte, habe ich versucht, im Halbdunkel der Zelle etwas von seinem Gesicht zu erkennen. Aber das Einzige, was ich sah, war eins seiner Augen. Es war blau, eine blasses, unheimliches Blau, wie ich es bis dahin noch nie gesehen habe. Er beobachtete mich durch

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