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Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
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den Türspalt, geradeso wie ich ihn. Und entsetzt fragte ich mich, wie lange er mich wohl schon so gemustert hatte.
    »Hast du Angst vor mir?«, fragte er mich.
    »Nein«, habe ich gesagt und versucht, fest und sicher zu klingen.
    »Das solltest du aber. Ich bringe Unglück. Es ist einmal geschehen, und wird wieder geschehen.«
    Dann lachte er, ein verzweifeltes Lachen, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ich habe die Tür zugeschlagen und das Weite gesucht.

21
    I mmer noch stieg Rauch aus dem Kloster auf, als Talitha stehen blieb. Auch sie war erschöpft, doch Saiph ging es viel schlechter. Er war so lange gewandert, wie er konnte, doch plötzlich zu Boden gesunken, weil die Beine ihn nicht mehr trugen.
    »Ich kann nicht mehr. Geh du allein weiter.«
    »Red keinen Unsinn, sonst bringe ich dich ins Kloster zurück und kette dich eigenhändig wieder an.«
    Saiph rappelte sich wieder hoch, doch er war zu mitgenommen, und so mussten sie eine Pause einlegen. Es war schwieriger als gedacht, sich ohne Laufstege auf den Talareth-Ästen zu bewegen. Obwohl sie breit genug waren, um auch zwei Personen nebeneinander zu tragen, musste man höllisch aufpassen, weil sie immer wieder die Richtung änderten und man Gefahr lief, an solchen Krümmungen das Gleichgewicht zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen. Zudem gaben dünnere Äste bisweilen unter ihrem Gewicht nach, und dann mussten die Flüchtenden sich schnell einen anderen Ast zum Festhalten suchen. Allerdings breitete sich die Krone bis über die äußersten Stadtränder von Messe aus und versperrte möglichen Verfolgern die Sicht. Hier oben hatten sie also die besten Aussichten, sich unbeobachtet aus dem Staub zu machen.
    Talitha schaute auf die Stadt hinunter. Messe war schemenhaft zwischen den Zweigen auszumachen, ein Gewirr
von Straßen, Wegen und Gebäuden. Sie griff zur Wasserflasche, die sie am Gürtel trug und trank gierig, stieß dann Saiph an. Der öffnete langsam die Augen ein wenig, nahm halb ohnmächtig die Flasche entgegen und stillte seinen Durst. Wieder einmal fasste sich Talitha an die schmerzende Schulter. Sie tat immer noch furchtbar weh. Als sie das Leder ihrer Weste zur Seite schob, sah sie einen großen violetten Bluterguss, der gelblich umrandet war.
    »Wo sind wir?«, fragte Saiph und schaute sich verwirrt um.
    »Auf den höchsten Ästen des Talareths. Wir sind schon weit gekommen.«
    Der Blick des Sklaven fiel auf die Rauchsäule, die vom Kloster aufstieg. Unwillkürlich schlug seine Herrin die Augen nieder.
    »Wie ist dir so etwas überhaupt nur in den Sinn gekommen?« , murmelte er kopfschüttelnd.
    »Hattest du vielleicht eine bessere Idee, um von dort zu fliehen?«, antwortete Talitha gereizt. »In den vergangenen beiden Monaten hast du mir ständig in den Ohren gelegen, dass das Kloster wie eine Festung ist, aus dem es kein Entkommen gibt. Ich hatte keine andere Wahl.«
    Er schaute sie lange an. »Kannst du dir vorstellen, wie viele Leute dafür mit dem Leben bezahlt haben?«
    Wieder hatte Talitha das Bild vor sich, wie Schwester Pelei mit gebrochenem Genick brennend in die Tiefe stürzte. Sie kniff die Augen zusammen.
    »Ich habe Kora Bescheid gesagt, und die hat dafür gesorgt, dass die Novizinnen, die Priesterinnen und auch die Sklaven sich retten konnten. Verbrannt ist nur ein Haufen Holz.«
    Doch Saiph schaute sie immer noch unverwandt an, und
Talitha kam sich entblößt und in die Enge getrieben vor. Jetzt, da sie nicht mehr in unmittelbarer Lebensgefahr waren, wurde ihr so einiges klar.
    »Was hätte ich denn tun sollen? Ich hab dich leiden sehen wie noch nie zuvor, und heute Morgen hätten sie dich umgebracht! Ich hatte wirklich keine andere Wahl. Hätte ich noch eine andere Möglichkeit gesehen, wäre mir das auch lieber gewesen, aber das habe ich nicht ... Und Schwester Pelei ... Ich wollte das nicht, verstehst du? Ich wollte das wirklich nicht.«
    Die Tränen liefen ihr heiß über die Wangen.
    Da nahm Saiph sie fest in den Arm und legte ihr eine Hand in den Nacken. Talitha nahm den Geruch seiner Kleider, seiner Haut wahr, einen Geruch, der ihr, seit sie Kinder waren, so unglaublich vertraut war. Sie vergrub das Gesicht an seiner Brust und weinte um Schwester Pelei, weinte, weil sie sich schuldig und hilflos fühlte.
    Der Sklave sagte kein Wort. Er hielt sie fest an sich gedrückt, die Nase in ihren Haaren, die Augen geschlossen. Immerhin waren sie am Leben, und sie waren zusammen. Alles Übrige war vielleicht nicht so

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