Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nashira

Nashira

Titel: Nashira Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Troisi
Vom Netzwerk:
verarbeitet.«
    Talitha wusste, dass ihre Familie in verschiedenen Geschäftszweigen tätig war: Einmal hatte sie die weiten, bestellten Felder besucht, die um Messe herum lagen. Und sie wusste auch, dass der eigentliche Reichtum ihres Vater die
Luftkristallminen im Süden waren. Wie es hieß, wurden sie nur von denen der Königin selbst übertroffen.
    Saiph deutete auf einige im Boden verankerte Eisenringe. »Daran wurden die Ketten der Sklaven befestigt. Sie hoben das Gestein aus den Karren, säuberten es und teilten es dann auf diesen großen Marmorplatten. Fünfzehn Stunden am Tag schufteten sie, und dann schliefen sie auch an ihrem Arbeitsplatz, angekettet Tag und Nacht.«
    »Und woher weißt du das alles?«, fragte sie.
    »Meine Mutter hat viele Jahren in einer Fabriken deines Vaters gearbeitet. Dass sie dann in den Palast kam, hatte sie deiner Mutter zu verdanken, die sich als eines ihrer unzähligen Hochzeitsgeschenke eine Sklavin aussuchen durfte. Und ihre Wahl fiel auf meine Mutter. Die hat mir oft davon erzählt, aber erklären konnte sie sich nicht, warum ausgerechnet sie dieses Glück hatte und nicht etwa die Sklavin an dem Platz neben ihr.«
    Talitha malte sich aus, wie ihre Mutter, hochmütig und zerstreut wie es so ihre Art war, in einer solchen Halle die Reihen der ergeben am Boden knienden Sklaven abschritt und sich dabei den Fächer vor die Nase hielt, um sich gegen die strengen Gerüche zu schützen, von denen die Luft mit Sicherheit erfüllt war. Bei dieser Vorstellung wurde ihr übel.
    »Femtiten, die in solchen Fabriken arbeiten, halten nur selten mehr als zehn Jahre durch«, fuhr Saiph fort. »Die Gräfin hat meiner Mutter also das Leben gerettet.«
    Das macht es auch nicht besser , dachte Talitha wütend. Dennoch beschlich sie so etwas wie Wehmut, als sie sich klarmachte, dass sie ihre Mutter wahrscheinlich nie mehr wiedersehen würde. Plötzlich kam ihr dieses Leben im Palast unglaublich fern vor, so, als gehöre es zu einer völlig anderen Zeit. Sie
seufzte und schaute sich um. »Auf alle Fälle arbeitet hier niemand mehr. Und wir müssen auf den Baumpfad hinauf.«
    Es dauerte nicht lange, bis sie entdeckt hatten, wonach sie suchten. Es handelte sich um eine marode Metalltreppe, die zum Dach hinaufführte.
    Saiph betrachtete sie skeptisch. »Ob die halten wird ...?«
    »Sie muss .«
    Tatsächlich war die Treppe in extrem schlechtem Zustand. Als Talitha den Fuß auf die erste Stufe setzte, ächzte der gesamte Aufgang bedrohlich, und der verrostete Handlauf schien unter dem Druck ihrer Finger zerbröseln zu wollen. Aber sie hatten keine andere Wahl.
    Langsam stiegen sie hinauf, während die Treppe unter ihren Schritten so gefährlich schwankte, als würde sie sich jeden Augenblick aus der Verankerung lösen und zu Boden krachen. Talitha zwang sich, nicht hinunterzuschauen, doch als plötzlich eine Stufe unter ihrem Fuß nachgab, wanderte ihr Blick unwillkürlich nach unten, und ein heftiger Schwindel erfasste sie, der sie taumeln ließ.
    »Alles in Ordnung?«, rief Saiph hinter ihr.
    »Nein! Erst wenn wir diese verdammte Treppe hinter uns haben!«
    Endlich waren sie unter dem Dach angekommen, dessen Fenster ebenfalls zerbrochen waren. Durch eines steckte das Mädchen den Kopf, um zu sehen, wie es weitergehen konnte. Sie befanden sich gut zwanzig Ellen über dem Erdboden, aber es blieb ihnen nichts anderes übrig, als ins Freie zu klettern. Dazu mussten sie sich auf den unteren Fensterrahmen setzen und dann mit den Armen hinaufziehen. Einen Moment lang blickte Talitha doch wieder nach unten, und in ihrem Kopf begann sich alles zu drehen.

    »Das schaffen wir«, sagte sie zu Saiph. »Klettere mir nach.«
    Mit dem Griff ihres Dolches schlug sie das restliche Glas säuberlich aus dem Rahmen, setzte sich dann, mit dem Rücken nach außen, auf die Kante und hielt sich dabei am Holz fest. Es kostete sie große Überwindung, die rechte Hand zu lösen und sie hinaus auf die Dachschräge zu setzen, aber schließlich tat sie es. Dann, ganz langsam, denn die Furcht lähmte sie, streckte sie auch die linke nach draußen.
    Sie schaute nach oben, dann stemmte sie sich kurz entschlossen mit Schwung hinaus, presste sich mit dem ganzen Körper gegen die Dachschräge und atmete heftig ein und aus. Sie hatte es geschafft. Zumindest den ersten Schritt.
    Kurz darauf setzte sich Saiph in den Fensterrahmen. Es dauerte, bis er den Mut fand, sich hinaufzuschwingen. Aber dann lag er endlich neben ihr, sein Gesicht,

Weitere Kostenlose Bücher