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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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war. Dem sie nichts schuldete, dem sie nicht helfen musste, weil sie ihm nicht helfen konnte. Sie hörte zu, wie ihre Atemzüge über sich selbst stolperten. Die schlimmen Dinge sind zwischen den Zeilen schlimmer, und die schönen sind schöner.
    Und dann saßen sie im Gras, und alles war vorüber.
    Er zog sie auf die Beine, hielt sie einen Moment lang fest und lauschte. Etwas raschelte, irgendwo am anderen Ende des Gartens.
    »Shit«, flüsterte er, ließ sie los und zog Friedels Hose hoch. »Er ist hier.«
    »Er?«
    »Oder sie. Jemand ist hier … Ich bin mir natürlich nicht hundertprozentig sicher.« Er half ihr zurück über die Mauer. »Geh«, flüsterte er. »Geh nach Hause. Beeil dich.«
    »Du hast schon Nancys Verfolgungswahn«, flüsterte sie. »Wie soll denn jemand ohne Schlüssel hier reinkommen?«
    »Man kann unten über eine andere Mauer klettern. Es ist umständlich, aber es geht.«
    »Dann komm.« Sie griff nach seiner Hand. »Wir haben doch den gleichen Weg, runter in die Stadt.«
    »Nein«, sagte er und zog die Hand weg. »Wir haben nicht den gleichen Weg. Geh.«
    Sie zuckte die Schultern und ging. Über das alte Pflaster hinauf in Richtung Schlosshof.
    »Hey!«
    Sie drehte sich um. Er stand noch immer da, eine schmale Silhouette vor dem ersten Sommermorgenlicht. Das Rascheln bei den Obstbäumen war verstummt. »Pass mir auf Nashville auf!«, rief er leise.
    Sie nickte. Dann rannte sie. Rannte den Gang entlang, rannte über den riesigen, kahlen Hof und hatte auf einmal Angst. Da war jemand, irgendwo hinter ihr, sie spürte es jetzt deutlich. Sie wagte nicht, sich noch einmal umzusehen. Ließ sich die Tür überhaupt von innen öffnen? Ohne Schlüssel?
    Die Panik schwappte über sie wie eine Welle. Sie streckte die Hand aus. Die Tür gab nach.
    Als sie draußen stand, war es, als wäre sie aus einem Traum getreten.
    »Ach was«, flüsterte sie. »Da war niemand.«
    Auf dem Weg zurück durch die Stadt begegnete sie den ersten Früh-zur-Arbeit-Gehern, die sie misstrauisch musterten, sie, die Grasfeuchte, Dreckige: eine Rumtreiberin.
    Wir sind die Wölfe
, dachte sie.
    Die Blicke der anständigen Leute brannten in ihrem Gesicht. Sie bemühte sich, sie zu erwidern.
    Gut, ich bin eine Rumtreiberin. Na und? Ich war zwischen den Zeilen. Ich lebe.
    Und dann kam ihr ein Gedanke, der sie einen Moment lang den Atem anhalten ließ.
    Das Wolfsspiel und seine Symbolik … Vielleicht hatte sie alles falsch verstanden. Vielleicht waren die Wölfe gar nicht die Gefährlichen.
    Sondern die Bürger.
    War der Österbergmörder nur ein Mensch, der glaubte, die Richtigen zu exekutieren?

14 Gärten
    Nashville saß in der Küche, als Svenja am nächsten Morgen herunterkam. Er wirkte frisch gewaschen wie das Gras draußen nach dem Regen. Auf seinem Kopf trohnte ein Turban aus einem alten karierten Küchenhandtuch, und seine Augen strahlten ihr entgegen. Vor ihm, auf dem Tisch, stand eine Kanne mit frischem Kaffee.
    Svenja lächelte.
    Dann sah sie, was neben der Kanne lag. Ein winziges Ding mit kurzer, scharfer Klinge. Ein Präpariermesser.
    »Es ist schön«, sagte Nashville. »Oder?«
    »Woher hast du es?«
    »Es ist gestern Abend jemandem aus der Tasche gefallen.«
    »Wobei du ein wenig nachgeholfen hast!«
    Nashville sah aus dem Fenster.
    »Wem? Wer trägt ein Messer in der Hosentasche mit sich rum?«
    »Ich hab vergessen, wie er heißt«, sagte Nashville, aber sie war sich sicher, dass das nicht stimmte. Er konnte die Person nur nicht leiden, die so hieß. »Der, der dir andauernd zuzwinkert. Der nicht Eingeladene.«
    »Nils. Mein Präp-Tutor.«
    »Dein Was-auch-immer.« Nashville streichelte mit der Kuppe des kleinen Fingers behutsam die Spitze des Messers.
    »Pass auf, es ist scharf.«
    »Ich weiß. Wenn ich damals schon dieses Messer gehabt hätte, wäre alles anders geworden. Man kann es in der Hand verstecken … Ich hätte ihm das Messer ins Gesicht gestoßen, und seine Reißzähne hätten ihm nichts genützt.«
    Aha, dachte Svenja. Der Mörder besaß jetzt Flügel, einen Dolch, ein Pferd, eine riesenhafte Gestalt und merkwürdige Zähne. Aber nie alles gleichzeitig. Sie hätte gelacht, wäre es nicht so wenig zum Lachen gewesen. Nashville nahm das Geschirrhandtuch vom Kopf, um das Messer sorgfältig hineinzufalten.
    Svenja starrte. »Deine Haare!«
    Er sah auf, noch immer lächelnd. »Sie sind ab, ja. Deshalb weiß ich, dass das Ding hier scharf ist.«
    »Du hast dir mit dieser winzigen Klinge die Haare

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