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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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abgeschnitten?«
    Sein Lächeln wurde unsicherer, er fuhr mit beiden Händen durch das kurze Haar, wie um es zu kämmen. »Gefällt es dir nicht?«
    »Doch«, sagte sie, kniete sich neben ihn und fuhr selbst durch sein Haar. »Steht dir.«
    »Sehe ich älter aus?«
    »Uralt«, sagte Svenja und lachte. »Viel zu alt für mich.«
    »Du machst dich lustig«, sagte er ernst. »Nachts, als du mit Friedel weg bist, da dachte ich …«
    »Ich bin nicht mit Friedel weggegangen. Ich habe Nancy und … deinen anderen Freund noch ein Stück begleitet.«
    »Wirklich? Ich bin noch mal aufgewacht und habe aus dem Fenster geguckt, und da warst du draußen, du bist die Straße entlang … und Friedel dann auch, und ich dachte, er rennt dir nach …«
    »Ist er nicht«, sagte Svenja, nachdenklich. »Jedenfalls habe ich es nicht gemerkt.«
    »Friedel ist okay«, sagte Nashville. »Aber gestern, da dachte ich, du gehst mit ihm weg, obwohl du ihn gar nicht liebst. Oder? Du liebst keinen von denen, mit denen du …« Er zuckte die Achseln. »Und dann bin ich morgens wieder aufgewacht und dachte, ich könnte das Messer ausprobieren, damit du mich mal siehst. Ich bin nämlich auch da.«
    »Natürlich bist du da«, sagte Svenja. »Du bist das Zentrum von allem.«
    Und dann umarmte sie ihn. Er duftete penetrant nach Kater Carlos Aftershave. Sie umarmte ihn und verbiss sich das Lachen und das Heulen gleichzeitig. Es ist nicht leicht, von einem neun- oder zehn- oder elfjährigen Jungen geliebt zu werden.
    »Guten Morgen«, sagte Svenjas Vater, der auf einmal da war. Er sah Svenja an, wie sie auf dem Boden kniete, ein duftendes Kind in den Armen, dessen Frisur der eines gerupften Huhns glich.
    Er sagte nichts über das Kind. Er sagte: »Ich habe von Wölfen geträumt, die ganze verdammte Nacht.« Dann schüttelte er sich, lachte und fand zwei Kaffeetassen in der Spüle. »Prost«, sagte er. »Auf dein Leben, Svenja.«
    Die Tür öffnete sich ein weiteres Mal; Kater Carlo, Thierry und das rothaarige Mädchen kamen hereingegähnt, und gleichzeitig klingelte Svenjas Telefon.
    »Svenja?« Die Stimme am anderen Ende der Leitung klang seltsam. Bemüht ruhig. Svenja brauchte einen Moment, um zu begreifen, wer es war.
    »Katleen?«
    »Ja. Ich wollte zur Uni, aber jetzt stehe ich hier … auf dem Übergang am Wehr. Ich habe es von Weitem gesehen und bin hergefahren … Da sind eine Menge Menschen, die Polizei ist hier und der Notarztwagen, schon seit einer Weile … Aber es scheint nicht ganz einfach zu sein, ihn zu bergen … Svenja, komm her.«
    »Wie?«, rief Svenja ins Telefon. »Katleen, wovon redest du? Wen zu bergen?«
    »Komm her«, wiederholte Katleen. »Jetzt. Komm zur Fußgängerbrücke am Neckarwehr.«
    Svenja steckte das Telefon ein und sah die anderen Leute in der Küche an. Sie waren sehr weit entfernt.
    »Ist Friedel letzte Nacht wiedergekommen?«, fragte sie, etwas heiser. »Nashville sagt, er ist noch mal weg …«
    »Ist er, und kein Schwein weiß, warum«, meinte Thierry. »Ich hab ihn heute Morgen noch nirgends gesehen. Der kommt schon noch, und dann fällt er ins Bett und schläft den halben Tag.«
    »Ich fahre … ich fahre jetzt offenbar zum Neckarwehr«, sagte Svenja. Ihre Stimme klang flach. »Irgendwas ist da. Kommt jemand mit?«
    Thierry sah Kater Carlo an. Kater Carlo sah das rothaarige Mädchen an. Alle drei sahen sehnsuchtsvoll in Richtung Kaffeekanne. Svenja fragte nicht, was genau sie nachts getan hatten.
    »Ich komme mit«, sagte ihr Vater, und sie wünschte, er hätte das nicht gesagt.
     
    Svenja fuhr sehr schnell, obwohl sie ahnte, dass es nebensächlich war, wie schnell sie fuhr.
    Nashville saß auf dem Gepäckträger des sonnengelben Fahrrads. Er hatte schon völlig kommentarlos dort gesessen, als sie das Rad aufgeschlossen hatte.
    Svenjas Vater hatte Kater Carlos Rad geliehen. »So sehe ich auch mal die Stadt«, hatte er fröhlich gesagt, als sie aufbrachen. Aber Katleen hatte nicht geklungen, als ginge es um eine Besichtigungstour.
    Sie stand am Rande der Menschenmenge beim Wehr, Svenja sah sie gleich: ihr über die Schulter herabrutschendes ewig graues T-Shirt, ihr schwarzes Streichholzhaar, ihren Blick.
    Die Gebäude des Elektrizitätswerks am Wehr, eines historischen Werks ohne große Bedeutung, ragten sehr hübsch in den Himmel. Der Himmel war blau.
    Der Notarztwagen, grellorange, stand mit Blaulicht am Ufer, die Polizeiautos sahen aus wie Spielzeug. Alles war hell, alles war real, selbst die Gier

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