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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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zwischen den Zeilen stattfanden. Das Haus war alt und befand sich in einem der schmalen, steilen Gässchen, die die Altstadt mit dem Neckarufer verbanden: Teil der Tübinger Postkarte. Auf der winzigen gemauerten Terrasse, zu der ein paar Stufen hinaufführten, standen Töpfe mit Oleander und Kräutern. Die Türschwelle war schräg, die Tür so niedrig, dass auch Svenja sich bücken musste. »Ich … hätte nicht gedacht, dass du so wohnst«, flüsterte sie im schmalen, dunklen Flur. »Ich dachte, in diesen alten Häusern zu wohnen ist furchtbar teuer, und es leben nur ältere Damen hier, die malen oder Gedichte schreiben und Katzen züchten.«
    »Ich male Gedichte über Katzen und züchte ältere Damen«, sagte Gunnar. »Wusstest du das nicht?« Er lachte. »Julietta hat die Wohnung ausgesucht. Vorher habe ich draußen in einem vernünftigen, hässlichen Mietshaus gewohnt. Und es ist teuer. Natürlich.«
    »Moment …« Svenja fühlte sich plötzlich seltsam. »Wohnt ihr zusammen hier?«
    »Nein«, sagte Gunnar einfach.
    Er stieß mit dem Fuß eine Tür am Ende des Flurs auf und trug Nashville über eine weitere schräge Stufe. Die Holzböden der einzelnen Räume schienen alle unterschiedlich hoch zu sein.
    »Ich habe ein Gästezimmer«, sagte Gunnar. »Es ist voller Kartons und Bügelwäsche, aber es gibt immerhin ein Bett. Meine Eltern schlafen hier, wenn sie mich besuchen … das heißt, sie haben
einmal
hier geschlafen. Eigentlich Quatsch, ein Gästebett zu haben.«
    Er legte den schlafenden Nashville aufs Bett. Durch das kleine Fenster fiel ein wenig Straßenlaternenlicht in den Raum. Svenja stand in der Tür und sah zu, wie Gunnar Nashville die nassen Kleider auszog, ohne dass er aufwachte. Gunnars Bewegungen waren rasch und geschickt, Nashville war nicht mehr als ein Patient in einem Rettungswagen. Er deckte eine Wolldecke über ihn und stand auf.
    »Ich habe trockene Sachen von ihm im Rucksack …«, flüsterte Svenja.
    »Lass es«, sagte Gunnar. »Versteck sie. Wenn er nachts aufwacht und nur eine Unterhose trägt, wird er nicht rausrennen.«
    »Denkst du«, sagte Svenja.
    Sie folgte Gunnar in die Küche, wo er das Licht anmachte und sich auf einen Stuhl fallen ließ.
    »Nur einen Moment lang atmen.«
    Svenja sah ihn an, zum ersten Mal in dieser Nacht sah sie ihn wirklich, und schüttelte den Kopf. »Gott«, sagte sie.
    »Nein«, sagte Gunnar, schnappte sich ein Küchentuch und tupfte damit das Blut von seiner Stirn. »Nur ein verrücktes Kind.«
    Nashville hatte sein Gesicht zerkratzt wie eine Wildkatze, die Kratzer liefen leuchtend rot bis hinab zum Hals, und in der linken Wange zeichneten sich deutliche Bissspuren ab. Gunnars rechte Hand trug ebenfalls die Abdrücke von scharfen Zähnen, blaurot unterlaufen. Und trotz allem dachte Svenja, dass Gunnar Glück gehabt hatte. Nashville hatte keines der Messer in der Hand gehabt, als er weggerannt war.
    Wie verrückt war er wirklich?
    Gunnar holte tief Luft, öffnete den Mund, um etwas zu sagen, sagte es nicht und ging ins Bad. »Handtücher sind hier.« Er zeigte auf einen Schrank. Dann fing er an, die Wunden in seinem Gesicht zu desinfizieren. Svenja sah an ihm vorbei in den Spiegel. Sie hatte sich selbst lange nicht mehr ausführlich in einem Spiegel betrachtet. Da waren Schatten unter den Wangen, die zuvor nie da gewesen waren. Vermutlich fehlten ihr ein paar Kilo. Sie sah … älter aus.
    »Erzähl mir die ganze Geschichte der Reihe nach«, sagte Gunnar und stellte das Desinfektionsspray zurück zu Rasierzeug und sorgfältig sortierten Medikamentenpackungen.
    Du solltest die Rasiermesser wegschließen
.
    »Erzähl sie mir morgen. Ich habe Nachtdienst, ich bin morgens also da. Jetzt duschst du und schläfst.«
    »Ja«, sagte Svenja.
Nicht mehr selber denken, nicht mehr selber denken.
    Das warme Wasser der Dusche hatte eine seltsam ungewohnte Wucht.
Kletter jetzt nicht aus lauter Schreck auf einen Schrank, Svenja …
Sie lächelte über sich selbst.
    Nein, dachte sie dann. Es war nicht die Dusche gewesen, die ihn in Panik versetzt hatte. Nicht die Dusche und nicht die Messer. In der letzten Zeit hatte sie vergessen, darüber nachzudenken.
    Als sie neben Nashville ins Bett fiel, streckte sie einen Arm aus, vergrub die Finger in seinem Haar und ließ sie dort, um sicher zu sein, dass er nicht nachts floh. Oder einfach nur so.
    Vielleicht war es kein Ding, das ihn an die Österbergnacht erinnerte. Vielleicht war es ein Geräusch. Oder … sie schlief

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