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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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blieben stehen. Und dann legte er beide Arme um ihren Hals, genau wie unter der Brücke, und küsste sie. Diesmal ließ sie es zu, ganz und gar. Sie öffnete den Mund und spürte seine Zunge, und es gab keine Grenzen mehr, keine einzige. Sie waren beide erwachsen.
    Sie schmeckte ungesagte Worte in ihrem Kuss:
Stehst du noch immer kopfüber in Schränken?
    Manchmal …
    Erzähl mir, wo du gewesen bist. Erzähl mir …
    Später. Wir haben ein ganzes Leben Zeit. Es fängt jetzt erst an.
    Ich liebe dich. Ich liebe dich.
    Sch.
     
    Und der Morgen kam, ein Morgen mit einem kleinen Jungen an Svenjas Seite, der höchstens elf Jahre alt war. Und ein weiteres Seminar. Und der Nachmittag und das Akkordeon und der Abend. Und Svenja rief ihre Mutter nicht an.
    Sie klingelte auch nicht mehr bei Katleen. Sie wollte nicht noch einmal vor der verschlossenen Tür in der Madergasse stehen und sich dumm fühlen. Sie wollte nicht zugeben, dass alles schiefgegangen war. Sie würde selbst wieder auf die Beine kommen. Alles regeln. Irgendwie. Sie würde sich um den Ausweis und die EC -Karte kümmern … morgen. Morgen. Solange es nicht zu sehr regnete, war alles in Ordnung.
    Im Grunde, sagte sie sich, lebte sie auch nur zu Recherchezwecken mit Nashville zusammen zwischen den Zeilen. Gewissermaßen
undercover
.
    Nashville platzte fast vor Stolz, weil er jetzt das Geld verdiente.
Lili Marleen
half ihnen. Das Leben gerann zu einer gewissen Normalität. Sie lebten von
Brot vom Vortag
, und Svenja wusch sich in den Toiletten der Unigebäude, wenn niemand es bemerkte.
    Man konnte sich leider in den Kursen und Seminaren schlecht konzentrieren, wenn man ständig Hunger hatte. Und wenn man sich ständig nach Zigaretten sehnte. Tatsächlich stand sie im nächsten Präp-Kurs am Waschbecken, damit beschäftigt, den Darm der Leiche von Tisch Nummer sieben zu spülen – und merkte, wie ihr Magen knurrte.
    »Du bist blass, Svenja«, sagte Nils. »Zu viel gefeiert oder zu viel gelernt?«
    »Beides«, sagte Svenja. »Weißt du, wo Friedel ist?«
    »Friedel … Friedel von Tisch acht? Keine Ahnung.« Nils sah auf einer der Listen nach. »Krank, steht hier.«
    Sowohl Friedel als auch Thierry und Kater Carlo blieben verschwunden, genau wie Katleen. Es war, als hätte Svenja sich die letzten Wochen nur eingebildet.
    »Sind wir so komplett zwischen die Zeilen gerutscht?«, flüsterte sie. »Haben sich die Welten getrennt?«
    Einmal ging Nils an ihnen vorbei, als sie auf dem Bordstein saßen. Svenja zog Nashville zurück in einen Hauseingang. Ausgerechnet Nils. Von da an achtete sie darauf, die Kapuze der Regenjacke nie abzusetzen, wenn sie bettelten. Nashville gab sie ihren Pullover, der ebenfalls eine Kapuze besaß, damit man auch ihn nicht erkannte.
    »Schämst du dich?«, fragte er.
    »Nein«, sagte Svenja, »es ist nur …«
    Er nickte, ein nachsichtiges Lächeln im Gesicht. »Ach so. Wenn es nur ist.«
    Sie ging noch immer zum
Contigo
, um zu arbeiten. Sie wollte den Job nicht verlieren. Das Verrückte war, dass ihr Gehalt auf das Konto überwiesen wurde, an das sie nicht herankam. Und die Chefin war im Urlaub. Svenja sagte sich, dass sie auch das morgen regeln würde.
    Morgen verschob sich. Zwei, drei, vier Tage. Eine Woche. Sie gewöhnte sich daran, mit dem Messer in der Hand zu schlafen. Ihre Hosen waren jetzt oben zu weit.
    Wenn die Polizisten abends durch die Straßen patrouillierten, noch immer auf der Suche nach einem Mörder, dann versteckten sie sich. Dies war nicht die Zeit, der Polizei Fragen zu beantworten.
    Einmal verscheuchten die Peruaner Svenja und Nashville. Sie saßen wieder vor der Stiftskirche; ein guter Platz, hier ging fast jeder vorüber, der sich die Stadt ansah. Der größte der Peruaner baute sich vor ihnen auf und stützte die Hände in die Seiten seines Ponchos.
    »Ich warte«, sagte er.
    »Schon gut«, sagte Nashville. »Es ist ihr Platz, Svenja. Jeder hat so seine Plätze.«
    »Das denke ich auch«, sagte der Peruaner. »Haut ab.«
    »Wo ist Nancy?«, fragte Svenja. »Sie hat gesagt, sie würde bei euch wohnen. Nancy mit der Gitarre?
Country Roads

    »Bei uns wohnt keiner mit Gitarre«, sagte der Peruaner.
    Svenja stand auf. Aber ehe sie ging, drehte sie sich noch einmal zu dem Peruaner und seiner Gruppe um, die ihre bunt gestreiften Decken bereits über die Treppe der Stiftskirche breiteten.
    »Ich wollte immer mal nach Peru«, sagte sie. »Wie ist es da? Schön?«
    »Keine Ahnung«, sagte der Peruaner leise. »Wir

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