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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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sind aus Polen. Die Leute geben lieber was, wenn man aus Peru ist. Und jetzt hör auf, dich einzuschleimen, und mach, dass du wegkommst.«
     
    Es wird immer so weitergehen.
    Immer und immer und immer.
    Lebe ich jetzt mehr, weil ich friere und Hunger habe und mich freue, wenn
Brot vom Vortag
morgens öffnet? Unsinn.
    Auch einen Koffer wegschwimmen zu lassen – nichts als romantischer Unsinn.
    Nächste Woche ist die Embryologieklausur. Zur Klausur muss Friedel wiederkommen.
    Aber vielleicht hat er das Studium geschmissen. Vielleicht ist keiner von ihnen mehr in der Stadt, weder Thierry noch Kater Carlo noch Kat
leen … Ich werde das Studium auch irgendwann schmeißen, es wird irgendwann nicht mehr gehen. Aber die Brücken bleiben, wo sie sind. Vielleicht sollte ich lernen, ein Instrument zu spielen.
    Es wird immer so weitergehen.
     
    An dem Tag, an dem der polnische Panflöter sie wegjagte, brach der Regen wieder über die Stadt herein. Die Leute eilten mit hochgeklappten Kragen vorüber, durch den Herbstwind, der den Juli verscheucht hatte. Svenja und Nashville saßen mit ihrer Tasse voll kläglicher Centstücke da, als die dunklen Wolken sich zu einer frühen Dämmerung zusammenzogen. Sie saßen oben beim Schloss, an der Mauer, genau dort, wo Svenja Nashville gefunden und wo sie den Jungen zwischen den Zeilen geküsst hatte. Wie viele Gesichter ein einziger Quadratmeter Stadt haben konnte!
    »Lass uns irgendwohin gehen, wo es trockener ist«, sagte Svenja. »Es kommt niemand mehr.«
    Doch Nashville schüttelte den Kopf und begann wieder Akkordeon zu spielen, und dann hörte sie die Schritte, die drinnen über den Schlosshof liefen. Die letzten Schritte, ehe das Tor geschlossen wurde … Schritte, deren Besitzer sie zunächst nicht sahen.
    Es war wie in der Nacht, als sie alleine hier gewesen war.
    Schritte im Schlosshof.
    »Nashville«, flüsterte sie. »Lass uns gehen, bitte! Ich mag dieses Geräusch nicht. Es ist irrational, aber …« Er spielte weiter.
    Schon rief der Posten:
    Sie blasen Zapfenstreich,
    es kann drei Tage kosten!
    Kamerad, ich komm ja gleich.
    Da sagten wir Auf Wiederseh’n.
    Wie gerne wollt’ ich mit dir geh’n
    mit dir, Lili Marleen.
     
    Svenja sah sich um.
    Da war niemand in der steilen Straße zum Schloss, nur sie und Nashville, der Regen und die beginnende Dunkelheit. Doch, zwei kleine Gestalten schlüpften durch die Tür, Gestalten in weißen Regenmänteln, leuchtend hell im dunkelnassen Abend. Svenja atmete auf.
    Die Gestalten fassten sich an den Händen und wirbelten zum Klang des Akkordeons im Kreis, kichernd im Regen. Selbst ihre Gummistiefel waren weiß. Und dann kam eine Frau in einem ebenfalls weißen Regenmantel durch die Tür. Die Elfen flatterten zu ihr und sagten etwas, auf Italienisch – aber da wusste Svenja natürlich längst, wer sie waren. Sie streckten die Kinderhände nach Münzen, tanzten zurück und ließen einzelne Zehncentstücke in die Tasse regnen, verzückt dem Akkordeon lauschend, knicksten, kicherten, stoben davon. Sie hatten Svenja nicht ins Gesicht gesehen, sie hatten sie nicht erkannt.
    Ihre Mutter rief nach ihnen, dann eilte sie ihnen nach. Svenja hörte den Verantwortlichen des Schlosses die Tür verschließen, einen Abschied murmeln, sah ihn zu seinem Auto hasten. Ende der Besichtigungstouren für heute.
    Beinahe taten Svenja die Elfen leid, die bei Regenwetter durch das Schlossmuseum geschleift worden waren. Ihre Mutter drehte sich um, und als Svenja ihrem Blick folgte, sah sie, dass noch jemand vor dem Schlosstor stand. Jemand, der eben seine Regenjacke zuknöpfte. Unnötig umständlich, wie ihr schien. Er winkte der Mutter der Zwillinge. Ich komme gleich, sagte sein Winken.
    Svenja verkroch sich tiefer in ihre Regenjacke.
    Gunnar. Die Regenjacke nützte nichts. Auch die Dämmerung nicht.
    Es kostete ihn keine zehn Schritte, zu ihnen herüberzukommen, dann war er da, bückte sich, zog sie an einer Hand hoch. Sein Griff war hart. Er streifte ihr die Kapuze vom Haar und sah sie an. Das Regenwasser lief über ihr Gesicht, lief auch über sein Gesicht und rann zu Boden wie flüssige Scham.
    »Was macht ihr hier?«, fragte Gunnar schroff. »Ist das irgendeine Art von Witz?«
    »Nein«, sagte Svenja und wich seinem Blick aus. Das nasse Kopfsteinpflaster war sehr interessant. »Das Haus Nummer drei wird abgerissen. Die anderen sind … ich weiß eigentlich gar nicht, wo … Und ich habe mir mein Portemonnaie klauen lassen …« Sie brach

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