Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
Vom Netzwerk:
Macht, er würde sich nicht losreißen und wegrennen.
    Er blieb stehen und sah Julietta an. Es war ein Bild für ein Bilderbuch: Das Bettelkind trifft die Königin.
    »Du bist herzlich willkommen hier«, sagte Julietta. Nashville nickte.
    Und auf einmal stand die Lösung aller Probleme ganz klar vor Svenja: Gunnar sagte Julietta die Wahrheit über Nashvilles Herkunft, er heiratete sie, und sie nahmen Nashville zu sich. Es wäre perfekt. Nashville hätte ein wundervolles Zuhause mit verantwortungsbewussten Eltern. Sie würden sich kümmern, besser als Svenja, sie würden einen Privatlehrer engagieren, der ihn auf die Schule vorbereitete. Er würde ein Geschwisterchen bekommen, das er auf dem Arm halten würde, während Julietta neben ihm saß und stolz ihre beiden Kinder ansah …
    Das Bild versetzte Svenja einen schmerzhaften Stich.
    »Sie sehen aus wie eine Fee«, hörte sie Nashville zu Julietta sagen. »Aber eine Fee bei Regen.«
    Die ganze versammelte Gesellschaft, die zugehört hatte, lachte, und Julietta lachte auch und sagte: »Schneiden wir die Torte an.«
    Aber eine Frau neben Svenja murmelte, dass dieser Junge sprach wie ein viel kleineres Kind und ob etwas mit ihm nicht in Ordnung wäre? Er sähe ja auch etwas abgerissen aus.
    »Mit Nashville ist alles in Ordnung«, sagte Svenja laut. »Er ist manchmal ein Dichter.«
    »Ach«, sagte die Frau. »Wie alt ist er denn?«
    »Älter, als man denkt«, sagte Svenja und ließ die Frau stehen.
    Und dann saßen sie auf Klappstühlen zwischen hochstieligen Blumen, die waren wie kleine Sonnen, und aßen Torte. Nashville beobachtete Julietta, die durch die Menge ihrer Gäste schwebte.
    »Sie ist so schön«, sagte Svenja.
    »Ich habe dir das schon mal gesagt«, meinte Nashville, beinahe ärgerlich. »Du bist schöner. Sie ist Regen, und du bist Sonne. Guck bloß mal deine Schuhe an. Und ich wette, dass sie in diesem Kleid keinen Kopfstand machen kann.«
    »Nashville«, sagte Svenja. »Ich mag dich sehr.«
     
    Sie waren auf dem Weg hinunter zum Ufer, um sich den Steg anzusehen, als die Zwillinge heranwehten. Heute wehten sie, sie flatterten nicht, denn sie waren keine Elfen mehr. Heute waren sie Regentropfen. Sie trugen das gleiche Vorgewitterblau wie Julietta, sie schienen stets Miniaturkopien ihrer Tante zu sein. Sie kamen auf den Steg geflossen und lachten und zeigten auf das Akkordeon, das Nashville am Riemen über der Schulter mit sich herumschleppte wie einen Talisman. Oder einen Fluch.
    »Du spielen?«, fragte das eine Regenmädchen.
    »Musik?«, fragte das zweite.
    Nashville nickte zögernd.
    »Bitte, spielen für uns?«, fragte das erste Regenmädchen. Und dann hängten sie sich an seine Arme und bettelten weiter, und Svenja sah, wie er versteinerte.
    »Lasst ihn los«, sagte sie und löste die Zwillingstropfen behutsam von Nashvilles Ärmeln.
    Da setzten sie sich artig auf den Steg, und Nashville nahm das Akkordeon und setzte sich ebenfalls.
    Svenja glaubte nicht, dass Nashville spielen würde. Nicht, nachdem jemand versucht hatte, es ihm zu befehlen.
    Aber er spielte. Und schenkte ihnen die Worte des einzigen Liedes, das er konnte.
    Die Zwillingsregentropfen lauschten andächtig.
    Vor der Kaserne,
    vor dem großen Tor,
    stand eine Laterne
    und steht sie noch davor.
    So woll’n wir uns da wiederseh’n,
    bei der Laterne woll’n wir steh’n,
    wie einst,
Lili Marleen.
    Svenja ließ die drei am Steg allein und ging durch den Garten zurück. Julietta war dabei, Geschenke zu öffnen, und eine Menge Leute sahen zu, wie sie die Schleifen und Bänder am Paket ihrer Eltern löste. Der Karton, der zum Vorschein kam, enthielt einen Reithelm und Stiefel. Und eine Karte.
    »Unsere Julietta wollte immer reiten lernen«, sagte ihr Vater. »Und immer war zu viel anderes los. Dreißig Jahre lang hat sie es nicht geschafft, auf ein Pferd zu kommen. Da dachten wir, jetzt ist es Zeit.«
    »Aber jetzt … habe ich keine Zeit mehr«, sagte Julietta und lachte. »Ich arbeite. Schon vergessen?«
    »Papperlapapp, nicht nur«, sagte ihr Vater. »Fang mir nicht an wie Gunnar. Du besitzt ab heute ein eigenes Pferd. Es steht draußen in Bebenhausen und freut sich auf dich. Und wenn ein gewisser Verlobter mal wieder am Wochenende arbeitet …« Sein Blick suchte Gunnar, fand ihn aber nicht in der Menge. »… Hat diese hübsche kleine Stute auf jeden Fall Zeit für dich.«
    Alle klatschten, und Julietta fiel ihrem Vater um den Hals wie ein kleines Mädchen. Dann öffnete sie Gunnars

Weitere Kostenlose Bücher