Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
ganz nah dran.«
»Ich passe trotzdem weiter auf dich auf«, sagte Gunnar.
Nashville zuckte nur die Schultern.
Von mir aus. Wenn du denkst, du kannst das.
»Gunnar?«, flüsterte Svenja. »Du tust schon den ganzen Abend Dinge, die deine Karriere kein bisschen weiterbringen.«
»Ja«, flüsterte Gunnar. »Erzähl es niemandem. Vor allem mir nicht, wenn du mich treffen solltest.«
»Ich treffe dich selten«, sagte Svenja ernst. »Ich ziele meistens zu schlecht.«
Und dann kletterten sie hinunter und gingen schlafen.
Ein paar ungezählte Tage waren gut.
Ein paar Tage waren … normal.
Svenja ging zur Uni, und Nashville lernte mehr Buchstaben, von ihr und auch von Gunnar, am Abend. Sie rief die Bank an und gab ihnen Gunnars Adresse. Sie würde eine neue EC -Karte bekommen und wieder Geld haben. Sie rief auch ihre Mutter an.
»Ich wohne jetzt bei einem sehr netten Typen«, sagte sie. »Der mir hilft. Der perfekte Mann … Ich habe ihn mal erwähnt … Er lässt uns eine Weile hier im Gästezimmer schlafen.«
»Und was sagt seine perfekte Frau dazu?«, fragte Svenjas Mutter.
»Kannst du mir helfen, an einen neuen Perso zu kommen?«, fragte Svenja. »Meiner ist geklaut worden …«
Julietta tauchte nie auf. Gunnar war ab und zu bei ihr, er erwähnte es, aber sie kam nie in die Wohnung. Abends saßen Gunnar und Svenja mit dem Akkordeon in irgendeiner Unterführung, dicht beieinander. Gunnar roch nach einer Mischung aus Desinfektionsmittel, später Sonne und dem Wunsch, jemand anders zu sein. Wenn er einschlief, weil er zu müde war, weckte Svenja ihn nicht. Es würde ohnehin kein Mörder auftauchen, Nashville hatte recht. Aber Gunnar schien zu finden, dass sie das hier weiter tun mussten. Oder vielleicht – aber diese Möglichkeit war rein hypothetisch – saß er gerne nachts mit Svenja in kalten Tübinger Unterführungen. Vielleicht war es eine gute Ausrede, keiner der Abendeinladungen von Juliettas Vater zu folgen.
Manchmal glaubte Svenja in diesen Spätabendstunden die Anwesenheit von jemand anderem zu spüren. Jemandem, der sie beobachtete.
Vermutlich war es Einbildung.
Nachmittags sah sie Gunnar ab und zu an seinem Café-Tisch unter der Kastanie. Sie störte ihn nie. Sie störte ihn schon genug in seinem Leben. Aber sie hatte das merkwürdige Gefühl, dass ein Teil von ihm diese Störung herbeisehnte.
Und Svenja sehnte andere Dinge herbei, die niemals geschehen würden.
Und Nashville konnte das ganze Alphabet und lernte das Einmaleins.
Würde er irgendwann in die Schule gehen?
»Wir können nicht ewig hierbleiben«, sagte sie zu ihm. »Wir haben jetzt wieder Geld. Ich zahle Gunnar etwas für die Miete, einen Anteil … Aber wir müssen uns irgendwann ein anderes Zimmer suchen. Wir …« Nashville sagte so demonstrativ nichts, dass sie nicht weiterreden konnte. »Du würdest gern bleiben, hm?«, fragte sie. »Ich auch.«
Irgendwann wurde der Zugfütterer vermutlich beerdigt, und auch der Junge zwischen den Zeilen.
Sie erkundigte sich nicht, wann.
Einmal lief ihr Thierry in der Stadt über den Weg und fragte, ob sie mal rauskäme zur Bauwagensiedlung. Sie sagte: Vielleicht.
Niemand fand Nancy.
Eines Abends kam Gunnar nach Hause und war umgekehrt, weil Nashville und Svenja draußen neben der Bank auf dem Kopf standen. Es hatte keinen besonderen Grund, dass sie auf dem Kopf standen, es hatte sich so ergeben.
»Verblüht Oleander eigentlich nie?«, fragte Nashville.
»Nicht, solange es warm ist, glaube ich«, sagte Svenja. »Hallo, Gunnar.«
»Hallo«, sagte Gunnar. Und dann stellte er sich ebenfalls auf den Kopf.
»Sieh mal«, sagte Svenja. »Die Welt ist falsch herum. Was haben die bloß mit der Welt gemacht?«
»Keine Ahnung«, sagte Gunnar. »Den Himmel haben sie nach unten getan und die Hölle nach oben. Ich meine, die Erde.«
In der schmalen Gasse, die hinunter zum Fluss führte, gingen ein paar Leute vorbei und guckten komisch. Gunnar blieb auf dem Kopf stehen.
»Julietta hat morgen Geburtstag«, sagte er. »Den dreißigsten. Es gibt ein großes Fest bei denen im Garten. Sie hat gesagt, ich soll euch mitbringen.«
»Mich und meinen Sohn.«
»Ja.«
»Gunnar … Hat sie keine Angst, dass ich einen Vater für meinen Sohn suche?«
Er kam auf die Beine und sah sie an. »Suchst du einen?«
Aber er wartete nicht auf ihre Antwort, er ging ins Haus, um den Laptop zu holen.
»Gut, dass er sich wieder richtig herum hingestellt hat«, sagte Nashville. »Auf dem Kopf kann
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