Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
weiß es nicht! Such dir was zum Anschließen! Ich muss wirklich los! Verflucht, Thierry, ich …«
KOMM .
Immerhin hatte sie jetzt entschieden, dass sie hinging. Sie stieg auf ihr eigenes Rad.
»Warte«, sagte Thierry und hielt den Lenker des sonnengelben Rades fest. »Svenja. Was ist los? Stimmt etwas nicht? Wohin willst du überhaupt? Was ist das für eine komische Verabredung? Du bist völlig blass.«
»Lass den Lenker los, bitte.« Svenja musste sich zwingen, ihn nicht anzuschreien.
KOMM .
NICHT .
Er ließ den Lenker los, ging aber nicht aus dem Weg, sondern musterte sie zweifelnd.
»Soll ich mitkommen? Du könntest mich hintendrauf nehmen …«
»Nein. Thierry. Lass mich jetzt fahren, verdammt!«
Sie schob ihn mit einer Hand zur Seite und trat in die Pedale, fuhr die schmale Gasse hinunter, den Weg am Fluss entlang zur Touristenbrücke: Hier hatte Gunnar Nashville verloren, hier waren sie über die Straße zum Bus gegangen, aber Nashville war nie beim Bus angekommen. Wer hatte ihm von der anderen Straßenseite her gewinkt?
Es waren zu viele Autos auf der Straße und zu viele Fußgänger unterwegs, trotz der Uhrzeit. Sie fuhr um Pärchen herum, die zeitvergessen durch den Abend streunten, vermied im letzten Moment den Zusammenstoß mit einer Gruppe angetrunkener, singender Burschen. Die Uhr am Kaufhaus an der Ecke zeigte fünf Minuten nach halb elf.
ZU .
SPÄT .
Sie bog zum Anlagenpark ab, wo die Unterführung begann. Als sie das Rad gegen einen der Kastanienbäume lehnte, wo schon mehrere Räder lehnten, packte sie eine neue Art von Angst.
Der See schimmerte zu ihr hinüber wie eine Messerklinge. Wie eine Warnung.
Der Letzte, der noch beseitigt werden muss
, flüsterten die Blätter.
Der Letzte, der mit jemandem aus dieser Gruppe auf der Straße gebettelt hat … Wer war das, Svenja? Wer weiß vielleicht zu viel, obwohl er es noch immer nicht geschafft hat, die Einzelstücke des Puzzles zusammenzusetzen?
Du, Svenja. Das bist du.
Sie ging zögernd auf das schwarze Loch der Unterführung zu. Der Döner-Imbiss zur Linken war geschlossen und verriegelt. Sie blieb stehen. War da jemand? Saß jemand im dunklen Eingang der Unterführung und wartete? Sie konnte nichts und niemanden erkennen.
Sie wollte rufen: Hallo? Ist da jemand? Hier ist Svenja … Aber irgendwie wollten die Worte ihren Mund nicht verlassen, sie steckten darin fest, hatten sich verkeilt und machten es schwierig, zu atmen. Sie hatte nicht daran gedacht, eine Taschenlampe mitzunehmen. Draußen war es noch so julihell. Aber dadrinnen, in der Schwärze, war es … schwarz.
Sie ging ein paar Schritte in die Unterführung hinein, blieb wieder stehen. Noch einen Schritt. Dann sah sie das Licht. Ein Licht tief drinnen in der Unterführung, ein Flackerlicht wie von einer Kerze in einer Blechdose. Vor dem Flackerlicht hockte ein Schatten.
Sie erinnerte sich an die Blechdosen, mit denen sie Tee ohne Tee gekocht hatten. Dort kauerte jemand, sie sah ihn schemenhaft, und kochte Angst mit Angst, sie konnte es riechen.
Und gleichzeitig sah sie, dass da noch jemand war. Eine dritte Person. Dort, im Tunnel, vor Svenja. Sie war nicht die Einzige, die gekommen war, um mit dem Polen zu sprechen.
Sie ging näher, langsam, an der Wand entlang. Notfalls würde sie sich umdrehen und rennen.
Der Pole kauerte reglos vor seinem Licht, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, die Arme um die Knie geschlungen, in der Stellung, in der alle frierenden Leute zwischen den Zeilen kauern, Svenja kannte sie gut von sich selbst.
Der Schemen vor Svenja war beinahe bei ihm.
Und dann explodierte die stille Dunkelheit und zerfiel in Bewegung. Jemand sprang. Es war der Pole, der Pole saß nicht mehr bei der Kerze, Svenja hörte einen Aufschrei und den dumpfen Fall von zwei Körpern, sah die Körper über den Boden rollen, hörte ihr Keuchen. Sie stand reglos und versuchte, etwas zu begreifen.
Der Pole hatte den, der vor ihr war, angegriffen. Hatte er gedacht, das wäre sie? War dies der Mörder, der glaubte, mit Svenja zu kämpfen? Aber wer war da vor ihr gekommen, wer kämpfte jetzt an ihrer Stelle? Die beiden Körper rollten eine schwer atmende Ewigkeit über den harten, schmutzigen Beton, dann lagen sie still, und eine Taschenlampe erhellte die Unterführung. Svenja blinzelte. Sie wusste nicht, wer die Lampe angemacht hatte. Einer der Kämpfer saß auf dem anderen und drückte ihm mit seinen Knien die Arme zu Boden.
Sie blinzelte noch einmal.
Es war Friedel, und
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