Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
Nacht, okay. Es ist so, wie Nils dachte. Ich war da, und das war ein Zufall, aber ich habe nie mit dieser Pennerin geredet. Schön, ich hatte Angst, es war wirklich ein extrem blöder Zufall. Also habe ich Nils etwas gegeben, damit er den Mund hält. Hättet ihr auch. Obwohl.« Er spuckte ihnen die letzten Worte ins Gesicht wie Gift. »Im Nehmen seid ihr ja
alle
besser als im Geben.«
Katleen kniete sich hin und legte das Messer an Gunnars Hals, kurz oberhalb von Friedels Händen.
Gunnars eigenes Messer.
»Du sagst uns jetzt, wo er ist.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Gunnar. »Verdammt, ich weiß es nicht!«
»Pech«, sagte Katleen und drückte zu. Svenja sah das Blut aus Gunnars Haut treten.
»Hört auf!«, schrie sie. »Die ganze Geschichte ist doch Unsinn! Ihr bastelt euch eine Wahrheit zusammen, die keine ist!«
»Gunnar? Wo?«, fragte Katleen. »Wohin hast du ihn mit diesem Zettel gelockt?«
Sie drückte weiter zu, Svenja hörte Gunnars verzweifeltes Keuchen. »Nein, bitte, ich … Gott! Soll ich jetzt etwas erfinden, damit du mich leben lässt?«
»Lieber nicht, würde ich sagen.« Noch mehr Blut, aber bisher war es dunkel, venöses Blut, oberflächliche Gefäße. Wenn sie fester zudrückte, würde es hellrot werden und sprudeln. Blut aus den Schlagadern. Lebensblut. Da brach etwas ein. Es geschah ohne das geringste Geräusch, aber Svenja fühlte es, sie fühlte etwas wie eine Druckwelle.
»Das Haus Nummer drei«, flüsterte Gunnar, und jetzt sprach er schnell und hektisch. »Der Keller. Der letzte Raum.«
»Sie wollten das Haus abreißen«, sagte Katleen. »Aber sie haben es nicht getan. Ich war neulich in der Nähe. Sie haben aus irgendeinem Grund damit angefangen und nicht weitergemacht. Der Plan ist nicht aufgegangen.«
»Es gibt keine Fenster im letzten Kellerraum und kein Wasser«, sagte Thierry nüchtern. Svenja hatte nicht einmal gemerkt, dass er neben sie getreten war. »Es sind jetzt zwei Wochen.«
»Zwei Wochen«, wiederholte Friedel. Dann schob er Katleens Hand mit dem Messer beiseite, holte aus und schlug Gunnar mit der Faust ins Gesicht. Er schlug nur einmal zu. Für mehr blieb keine Zeit.
»Los«, sagte er und sprang auf. Katleen nahm die Lampe. Sie rannten alle zusammen zum Eingang der Unterführung zurück. Gunnar blieb liegen, auf dem Boden, die Hände vors Gesicht geschlagen. Svenja rannte mit den anderen. Kater Carlo hielt sie nicht mehr fest, er hielt nur noch ihre Hand, und sie war froh über die Hand.
Die Räder, die neben ihrem eigenen lehnten, waren also die der anderen. Sie hätte es gleich erkennen können.
Sie hatte so wenig erkannt.
Sie war selten schneller Rad gefahren.
Als sie vor dem Haus Nummer drei standen, gab es eine seltsame Pause.
»Zwei Wochen ohne Wasser und Essen«, sagte Katleen leise, und all ihre gewöhnliche Kaltblütigkeit war verschwunden. »Ich weiß nicht, ob wir da reingehen wollen. Ich weiß nicht, ob wir das finden wollen, was dort ist.«
Svenja stützte sich am Zaun ab. Ihr war kotzübel.
»Er hat gedacht, der Zettel, den er gefunden hat, wäre von mir«, flüsterte sie. »Gunnar hat ihn geschrieben, aber Nashville dachte, er wäre von mir. Er hat die ganze Zeit gedacht, ich hätte ihn …«
»… gelockt in die Falle«, sagte Kater Carlo. »Aber jetzt wir sagen ihm, dass nicht wahr. Ihr kommt?« Und in seiner gewöhnlichen geradlinigen, zuversichtlichen Kater-Carlo-Art kletterte er voraus über den Zaun.
Svenja dachte an den Tag, an dem sie hier gesucht hatte. Sie war nur bis zum zweiten Kellerraum gegangen. Da hatte die tote Ratte gelegen. Sie lag nicht mehr da.
»Ich war ganz nah«, flüsterte Svenja. »Ich hätte nur weitergehen müssen …«
Es war eine zu einfache Wahrheit, um sie zu begreifen.
Vor der letzten der Türen, vor dem letzten der Räume lag ein Riegel. Nicht einmal ein Schloss, nur ein alter Riegel, schwer und metallen.
Kater Carlo schob ihn zur Seite und öffnete die Tür. Es roch nach Schimmel und Urin.
Svenja verbarg ihr Gesicht an Katleens Schulter. Sie dachte, sie würde jetzt weinen, aber sie weinte nicht, es ging nicht. Sie sah wieder auf. Die Schuld des Nicht-weiter-gegangen-Seins brannte in ihrer Kehle. Das Licht der Taschenlampe malte Streifen in den Raum. Hier gab es nichts, gar nichts, nicht einmal ein undichtes Rohr in der Decke. Das Verlies, in das Gunnar Nashville gesperrt hatte, war vollkommen kahl.
In der hinteren Ecke des Raumes lag ein regloses Bündel. Kater Carlo ging hinüber und
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