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Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)

Titel: Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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sie hatte ihn noch nie so wütend gesehen.
    Sie machte einen Schritt vorwärts, beinahe unwillkürlich, völlig verwirrt. Ihr war eiskalt. Ihr war schwindelig. Sie merkte, dass sie zitterte. Sie verstand nichts.
    »So«, zischte Friedel, noch immer außer Atem. »Das hast du dir so gedacht, ja? Ich habe es mir auch gedacht. Ich habe es mir schon eine ganze Weile gedacht. Aber du bist dümmer, als ich dachte.« Svenja sah, wie sich seine Finger in die Schultern des Menschen unter ihm krallten, als wollte er ihn schütteln, obwohl das unmöglich war, da er ihn selbst mit seinem Gewicht am Boden festnagelte. Was erstaunlich war, denn der andere Mensch war größer und schwerer als Friedel. Vielleicht war es die Wut, die Friedel ungeahntes Gewicht verlieh.
    »Wo ist er?«, zischte er. »Wo hast du ihn hingebracht?«
    »Du bist ja verrückt«, sagte die Person unter ihm. »Betrunken wahrscheinlich auch. Lass mich los.«
    »Nein«, sagte Friedel und legte die Hände um den Hals der anderen Person. Offenbar drückte er zu, denn der andere gab einen erstickten Laut von sich.
    »Wo ist er?«
, wiederholte Friedel.
    »Wer?«
    »Komm, hör auf damit. Es nützt dir nichts mehr. Jemand hat sich erinnert. Keiner von den Panflötern natürlich. Ha, weißt du, wer sich erinnert hat? Die
Bubble-Tea
-Türkin vom Stand an der Kreuzung, wo du ihn angeblich verloren hast. Sie hat zwei Wochen gebraucht, um sich zu erinnern, verdammt, zwei Wochen! Sie sagte, sie dachte nicht, dass es wichtig ist, weil es so normal aussah. Ich habe tausend Leute gefragt, aber die
Bubble-Tea
-Türkin zuletzt, ich Idiot. So normal … sehr schlau …« Die Worte fielen aus Friedel wie aus Nashville, dies war ein Wortwasserfall, und Svenja versuchte, mit den Gedanken hinterherzukommen, aber ihre Gedanken waren gelähmt.
    »Gunnar?«, flüsterte sie.
    Friedel fuhr herum.
    »Svenja«, sagte er. Mehr nicht, zu mehr hatte er keine Zeit, der Wortwasserfall schwemmte ihn davon. »Ihr wart da, das stimmt«, sagte er. »Sie hat euch vorbeigehen sehen, zusammen. Und sie wusste noch, dass Nashville einen Zettel in der Hand hielt. Das alles bedeutet nichts, obwohl es merkwürdig ist. Aber sie hat noch etwas gesehen. Sie hat gesehen, wie ihr euch getrennt habt, du und Nashville. Er hat auf seinen Zettel gestarrt und ist in die eine Richtung gegangen und du in die andere. Wie Leute, die ein Stück des Weges gemeinsam gehen und sich dann verabschieden, weil sie verschiedene Ziele haben. Es war gelogen, Gunnar. Er ist dir nie weggelaufen, und er hat nie jemandem gewinkt. Es war alles ganz anders.«
    »Schön«, flüsterte Gunnar, seine Worte stockend, seine Stimme halb erstickt unter Friedels Händen. »Es war anders. Wir … wir haben uns getrennt. Er hatte diese merkwürdige Botschaft gefunden … Ich dachte, wahrscheinlich hat er sie an sich selbst geschrieben … Schön, ich habe ihn laufen lassen, ihn und seine Verrücktheit und seinen Zettel. Es war, angeblich, ein Brief von Svenja. Natürlich war das Unsinn, er wollte nur so gerne einen Brief von Svenja haben. Er war besessen von dem … Gedanken an Svenja. Einen … Brief mit einer Verabredung. Ich … ich wollte ihn nach Reutlingen bringen, in die Klinik, aber … aber auf einmal dachte ich, vielleicht ist es besser, ich tue es nicht. Vielleicht … vielleicht ist es besser … wir lassen ihn gehen. Und er ist gegangen, oder? Er ist nicht zurückgekommen. Was immer er getan hat … Er weiß, dass wir ihn im Verdacht haben. Vielleicht hat er anderswo eine neue Chance. Gebt ihm die doch. Er ist nur ein Kind.«
    »Spar dir deine salbungsvollen Worte«, sagte Friedel.
    »Lass ihn los, Friedel!«, flüsterte Svenja, heiser vor Furcht. »Du bringst ihn um!«
    »Vielleicht«, sagte Friedel. »Ich überlege es mir noch. Kater Carlo?«
    »Nein«, sagte Kater Carlo, und Svenja merkte erst jetzt, dass er es war, der die Taschenlampe hielt. Er stand auf der anderen Seite der Unterführung. »Wir brauchen ihn noch. Aber ich hätte ein Messer, um ein bisschen zu helfen nach, wenn er antwortet nicht.« Er warf Thierrys Taschenmesser durch die Luft, es landete neben Friedel, aber Friedel hatte keine Hand frei, um es aufzuheben. Svenja sah Gunnars Blick, der ihren suchte.
    Hilf mir, Svenja.
    »Ihr seid ja alle verrückt!«, rief sie. »Was … was macht ihr denn? Gunnar … Gunnar hat das sicher mitgekriegt, dass ich herkomme, das Fenster war ja offen heute Morgen … Er ist gekommen, um mich zu schützen! Lass! Ihn!

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