Nashville oder Das Wolfsspiel (German Edition)
Mauer hoch und stürzte wieder hinunter in sein Bett. Und Svenja war einen Moment lang nicht sicher, ob die ganze Szene echt oder fiktiv war. Aber sie war schön.
»Tut Julietta das?«, fragte sie, als sie zusammen auf dem Gästebett lagen, danach, ganz nah. »Ich meine, das … ist ziemlich privat. Ich habe das noch nie getan. Dass ich anfange und jemand dazukommt …«
Draußen hatte der Wind aufgefrischt, Svenja hörte ihn ums Haus heulen. Nein, das war kein Wind, das war ein Sturm, ein Orkan, ein Weltuntergang. Aber sie waren hier drinnen, sicher und warm.
Gunnar lachte. »Julietta? Julietta hat noch nie hier übernachtet. Und im Haus ihrer Eltern gibt es ein sehr vornehmes Gästezimmer. Ich kenne es gut. Julietta ist katholisch. Von ihrer Mutter her. Italienisch katholisch.«
Svenja stützte sich auf einen Ellenbogen und sah Gunnars dunklen Umriss an. »
So
katholisch? Ihr Vater wirkt nicht so.«
»Nein«, sagte Gunnar. »Der hat sein eigenes Leben.«
Svenja malte mit dem Finger Muster auf Gunnars Bauch. »Armer Gunnar.«
»Es sind nur noch drei Wochen.«
»Und dann? Du heiratest sie doch nicht, um mit ihr zu schlafen. Du heiratest sie, weil es zu deinem Lebensplan gehört, das schönste Mädchen des Semesters zu heiraten, die Tochter des Oberarztes. Aber wenn du ganz ehrlich bist, willst du es nicht. Du … du könntest auf dem Dach sitzen und Melone essen. Und Kopfstand auf der Terrasse machen. Es gibt im Leben … so viel
Leben
.«
»Weise Sprüche«, sagte Gunnar. »Und dann? Dann endet man so wie die im Haus Nummer drei. Keine Verantwortung, kein Morgen. Das Leben ist eine Party. Du bist ausgezogen.«
»Weil das Haus uns über dem Kopf zusammengebrochen ist.«
Gunnar nickte. »Siehst du«, sagte er. Und dann küsste er sie. Sie hatten sich vorher nicht geküsst, und sie hatte gedacht, er würde das nicht tun, wegen Julietta. Er küsste wie jemand, der in etwas ertrinkt und versucht, durch den Kuss zu entkommen. Aber er hatte selbst beschlossen zu ertrinken. Und so endete der Kuss, ohne zu etwas zu führen.
»Ich ziehe zum nächsten Ersten aus«, flüsterte sie. »Mal sehen, wohin. Aber …« Sie dachte an Katleen.
Wenn du irgendwann Hilfe brauchst, melde dich.
Er nickte stumm.
Kehr doch um
, dachte sie.
Vergiss doch das Prinzip des Ideals. Das Leben besteht aus Geben und Nehmen. Aber du versuchst, nur zu geben. So funktioniert das Spiel auch nicht, Gunnar. Ich weiß nicht, wie es funktioniert, aber so nicht
.
Irgendwann stand Gunnar auf, um in sein eigenes Zimmer hinüberzugehen. In der Tür blieb er noch einen Moment lang stehen.
»Gute Nacht«, sagte er. »Gute Nacht, Svenja Wiedekind. Es war … ungewöhnlich schön, dich zu kennen.«
Alles endete, ja.
Es war Juli, aber die Luft schmeckte nach Herbst, als Svenja am Morgen vor die Tür trat. Das Licht hatte die sich neigende, rötlich kalte Farbe von fallendem Laub.
Sie atmete den Herbst und das Ende tief ein.
Hinter ihr in der Wohnung kochte Gunnar einen wortlosen Morgenkaffee, sie hörte ihn die Tassen aus dem Schrank nehmen. Das Küchenfenster war offen, er ließ die kalte Luft herein, um wach zu werden. Hatte er gestern Nacht noch gearbeitet?
Die Tautropfen auf der blau gestrichenen Bank sahen aus wie lauter winzige glänzende Augen. Zwischen den Tautropfen saß jemand.
»Katleen!«, sagte Svenja.
»Ja«, sagte Katleen und stand auf, um die graue Jeansjacke hochzuziehen, die ihr über die eine Schulter herunterrutschte wie all ihre grauen T-Shirts. Sie kam zwei Schritte auf Svenja zu, lehnte sich mit einem Arm ans Küchenfensterbrett und schien einen Moment lang nachzudenken.
»Ich habe eine Nachricht für dich«, sagte sie dann.
»Eine … Nachricht?«
»Du weißt doch, ich bin der Notizblock deiner Penner.« Katleen grinste.
»Meine Penner …« Svenja schluckte. »Sind alle tot.«
»Vielleicht nicht alle«, sagte Katleen. Drinnen rauschte der Wasserkocher. Dann ging er aus, und Katleen sagte in die plötzliche Stille: »Ich soll dir von einem der Peruaner sagen, dass er dich treffen will.«
»Es sind Polen.«
»Von mir aus. Polen. Panflöter. Irgendwas mit P.« Sie zuckte die Achseln, und die Jacke rutschte wieder. Sie ließ sie rutschen. Sie kniff die Augen leicht zusammen, sie schien sich sehr auf ihre nächsten Worte zu konzentrieren. »Er hat gesagt … Wie war das? Du sollst ihn bei der Unterführung an der Bahn treffen. Du weißt schon, die zwischen Anlagenpark und Bahnhof. Heute Abend. Um halb elf.
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