Nasses Grab
mitgebracht.« Sie legte die drei Fotos, die ihre Mutter ihr gegeben hatte, auf den Tisch. Anděl nahm sie und betrachtete sie lange.
»Das ist – das eine ist Alena Freeman«, sagte er schließlich. »Und die beiden anderen? Wer ist das? Sie sehen sich verdammt ähnlich.«
»Das erste ist meine Mutter – vor Jahren auf einem Familienausflug an den Niagarafällen. Das zweite«, sie deutete auf das Foto, »ist Alena. Meine Tochter hat sie hier in Prag in einem Café aufgenommen. Und das dritte …«, sie lächelte, »das dritte ist eine Spielerei meiner Tochter.«
Anděl sah sie verständnislos an.
»Cassia fotografiert sehr gerne. Vor allem Menschen. Sie nimmt die Bilder als Vorlagen für Zeichnungen, die sie später anfertigt. Sie hat immer ihre Kamera dabei und knipst. Und sie hat einen sehr guten Blick für Gesichter. Offenbar ist ihr Alenas Ähnlichkeit mit meiner Mutter aufgefallen, und sie hat angefangen, mit dem Bild herumzuspielen. Am Computer. Sie hat die Frisur und die Haarfarbe verändert. Und das ist das Ergebnis.«
»Unglaublich. Und wie ist Ihre Mutter an die Bilder gekommen?«, fragte er.
»Cassia hat sie ihr geschickt – mit einer kurzen Notiz. Sie schrieb, meine Mutter habe offenbar eine Doppelgängerin in Prag.«
»Ja«, sagte Anděl, »ja, so sieht es aus. Aber …« Der ungeheuerliche Gedanke, der langsam in seinem Gehirn Gestalt annahm, verschlug ihm die Sprache. Konnte es möglich sein?
»Es ist sicher nur eine zufällige Ähnlichkeit – jedenfalls dachte ich das, bis …« Sie brach ab, stand auf, ging zum Besprechungstisch hinüber und nahm ein Glas Kaffee in die Hände. Sie drehte es hin und her und trank schließlich. »Meine Großmutter ist überzeugt, dass ihre totgeglaubte Tochter hier in Prag ist. Und sie will sie unbedingt sehen.« Großer Gott, dachte Magda, wie soll ich ihr das sagen? Wie soll ich ihr sagen, dass diese Frau, die sie für ihre verschollene Tochter hält, nun auch tot ist? Es wird sie umbringen. Warum bist du gekommen, Babi? Und warum hatte Cassia die Fotos nicht ihr geschickt? Ihr graute vor dem Gespräch mit ihrer Großmutter.
»Kann ich die behalten?«, fragte Anděl und hielt die Fotos in die Höhe.
Magda nickte geistesabwesend. Sie dachte an den vergangenen Abend. Sie hatten bis in die Nacht in ihrer großen Küche gesessen und geredet. Magda hatte mehr über ihre Tante erfahren als in ihrem ganzen bisherigen Leben. Die ganze Geschichte über das wilde Mädchen, das nach Kräften versucht hatte, seine Familie abzuschütteln – aus Gründen, die wohl nur sie selbst verstanden hatte. Magdas Mutter und die Großmutter hatten jedenfalls nichts zum Verständnis beitragen können – oder eher wollen. Und nun war Alena tot.
Larissa traute ihren Ohren nicht. Sie saß mit Staatsanwalt Otčenášek, Magda Axamit, Otakar Nebeský, Meda Cyanová und David Anděl an dem großen Besprechungstisch im Büro des Kommissars. Der Inspektor hatte sie in der Redaktion angerufen und gebeten, gleich vorbeizukommen, es gebe neue Entwicklungen. Larissa hatte sich weitgehend von dem Schock am Tag zuvor erholt. Nachdem sie den toten Fotografen gefunden hatte, war sie mit Anděl in das kleine Café im Nebenhaus gegangen, und er hatte sie gebeten, ihm alles genau zu erzählen. Das hatte sie getan, so genau und geradlinig wie möglich.
»Lassen Sie mich das noch einmal wiederholen«, hatte Anděl schließlich gesagt. »Sie sind in der Post an der Rezeption vorbeigegangen und haben von dort eine Stimme gehört. Die Stimme des anonymen Anrufers. Sie sind hineingegangen, aber der Mann war schon fort. Die Rezeptionistin sagte Ihnen, wer er war. Milan Hora, ein Fotograf, der gelegentlich für die Post gearbeitet hatte. Dann haben Sie einen Kollegen nach seiner Telefonnummer gefragt. Ist das so weit richtig?«
Larissa nickte.
»Und dann haben Sie diesen Hora angerufen, und er hat gesagt, Sie könnten vorbeikommen.«
»Erst hat er alles abgestritten, aber dann sagte er, die Polizei beobachte sein Haus sowieso schon, also sei es ohnehin egal.«
»Gute Beobachtungsgabe, der Mann. Er muss Erfahrung mit so was gehabt haben. Wie auch immer. Weiter im Text. Die Nachbarin hat Ihnen gesagt, Hora habe an diesem Tag schon mehrfach Besuch bekommen?«
»Ja, sie sagte, ich sei schon die Vierte, die versuchte, ihn zu sprechen. Das sei mehr Besuch, als er in den letzten Jahren gehabt habe.«
»Hat sie auch gesagt, ob diese Besucher hineingegangen sind?«, fragte Anděl.
»Nur zwei«, hatte
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