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Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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Nach fünfundzwanzig Jahren war so etwas kein Spaziergang. Wer hatte sie getötet? Wenn die Kousalová doch nur reden würde. Sie kannte die Mörderin. Anděl machte sich mehr denn je Sorgen um ihre Sicherheit. Er hatte aufgeatmet, als er die Tote in der Metro gesehen hatte. Es war nicht Markéta Kousalová. Schon sein erster Blick auf die Leiche hatte ihm genügt. Falsche Haarfarbe. Gott sei Dank! Vielleicht wusste die Mörderin doch nichts von der Existenz der Augenzeugin. Trotzdem hatte er angerufen und zwei Polizisten zu ihrem Haus geschickt, die es beobachten sollten. Vorsichtshalber.
    Der Anblick der Toten unter der Treppe zum Fußgängergeschoss der Metro hatte ihn trotzdem verblüfft. Immerhin hatte die tote Frau am Fuß der Treppe mit der Mumie nichts zu tun. Das war tröstlich. Er konnte keine weiteren Verwicklungen gebrauchen. Was sie bisher hatten, war verzwickt genug. Er blickte traurig zu der Leiche. Sie lag auf dem steinernen Boden wie ein achtlos weggeworfenes Bündel Kleider. Nein, nicht ganz. Etwas an ihrer Haltung war seltsam. Als habe sie sich zum Schlafen hingelegt, halb auf der linken Seite liegend, den rechten Arm unter dem Kopf wie ein provisorisches Kissen, das linke Bein angewinkelt über dem gestreckten rechten. Von der Treppe hörte er die schnellen Schritte seines Freundes Jirka Kratochvíl.
    » Ahoj , David«, sagte Jirka. »Was ist passiert?«
    »Sieh sie dir erst mal an, Jirka.«
    Der Gerichtsmediziner nickte nur. Er war auch tagsüber nicht sonderlich gesprächig, wenn es um seine Arbeit ging. Seine Berichte hingegen legten Zeugnis ab von einer bemerkenswerten Sprachgewandtheit. Anděl hatte den Pathologen sogar im Verdacht, der Autor eines Büchleins zu sein, das vor Kurzem als Erstlingswerk eines anonymen Autors Furore gemacht hatte. Der einzige Grund, warum Anděl von Jirka Kratochvíls Autorenschaft überzeugt war, war dessen morbider Humor und ebendiese ungewöhnliche Sprachgewandtheit, die auch Jirkas medizinische Berichte auszeichnete, ja sie auf die eine oder andere Art zu bizarren Kunstwerken machte. Und natürlich der Name des Autors – Solo Lovec. Das hörte sich ganz nach Jirka an. Er musste ihn bei Gelegenheit danach fragen.
    »Wann wurde sie gefunden?« Jirka gähnte herzhaft, setzte seine Tasche etwas entfernt von der Leiche ab und kniete sich hin, um die Tote zu untersuchen. Er rief nach einem der uniformierten Polizisten und bat um mehr Licht.

»Eine Frau hat vor zwanzig Minuten angerufen und einen Unfall in der Metro gemeldet. Sie sagte, jemand sei offenbar auf den glatten Stufen gestürzt.« Anděl seufzte. »Dummerweise hat sie ihren Namen nicht hinterlassen. Sie hat aufgelegt, bevor der Beamte sie danach fragen konnte.« Vielleicht hatte die Frau etwas gesehen. Doch er bezweifelte, dass sich die Anruferin noch einmal melden würde – sie hatte ihre Pflicht getan. Und wahrscheinlich würde sich das hier als Unfall erweisen. Anděl warf einen Blick auf die hohen Absätze der Sandalen. Mindestens zehn Zentimeter. Vielleicht war sie die Treppe hinuntergelaufen und ausgerutscht, gestolpert. Sich auf einer Treppe den Hals zu brechen – was für ein Pech. Die Frau war sympathisch gewesen.
    Etwas, das Jirka halblaut vor sich hin murmelte, riss ihn aus seinen Gedanken.
    »…schossen.«
    »Bitte? Geschossen? Wer?«
    »Keine Ahnung. Woher soll ich das wissen? Ich bin nur der Pathologe. Ich kann dir nur sagen, dass sie erschossen wurde – abgesehen davon, dass sie sich bei dem Sturz wohl auch das Genick gebrochen hat. Wer sie auf dem Gewissen hat, ist dein Bier, Junge.« Jirka erhob sich, strich seine makellos gebügelte Anzughose glatt und fuhr sich durch das ebenso makellos geschnittene kurze dunkle Haar. »Hast du sie dir nicht angesehen, bevor ich gekommen bin?«
    »Nein, ich wollte sie nicht bewegen – nicht bevor du sie dir angesehen hast. Außerdem bin ich nur ein paar Minuten vor dir gekommen. Scheiße.« Jetzt hatte er drei Morde am Hals. Und nicht zu vergessen, das herrenlose Bein vom Ufer der Moldau.
    »Warum zum Teufel hätte jemand sie erschießen sollen?« Er schlug mit der Faust gegen die gekachelte Wand des Metroaufgangs.
    Jirka sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
    »Das ist Alena Freeman, eine Redakteurin von RFE«, erklärte Anděl.
    Jirka schüttelte den Kopf und stand auf. »Ich dachte, die schießen nur im Irak auf Journalisten, oder in Tschetschenien, Afghanistan und ähnlich unwirtlichen Gegenden. Kanntest du sie?«
    »Hm. Ja.

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