Nasses Grab
Besuch. Er sagte, er wolle nicht gestört werden, aber …«, sie zögerte und sah Anděl wieder an. »Wenn Sie einen Moment warten wollen – ich habe Kaffee da...« Sie deutete auf die Kaffeemaschine auf dem Fensterbrett.
Anděl schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Es ist dringend, ich fürchte, ich muss ihn stören«, sagte er und ging zur Tür.
»Bitte!«, rief sie aus und sprang auf. »Er hat ausdrücklich gesagt, dass er nicht gestört werden möchte. Sie wissen doch, wie er ist! Wenn ich Sie da reinlasse, reißt er mir den Kopf ab!«
Anděl legte die Hand auf die Türklinke.
»Keine Sorge, das geht auf meine Kappe«, sagte er lächelnd und drückte die Klinke hinunter. Die Sekretärin sank langsam auf ihren Stuhl zurück. Ihr Gesichtsausdruck verriet überdeutlich, was sie von seiner Versicherung hielt. Sie nickte resigniert. Anděl öffnete die Tür und trat ein.
»Entschuldigen Sie, Herr Doktor«, sagte er, während er die Tür hinter sich schloss, »ich muss dringend mit Ihnen sprechen. Ihre Sekretärin wollte mich pflichtschuldigst aufhalten, aber sie hatte keine Chance.«
Václav ˇerný stand hinter seinem Schreibtisch und sah ihn entsetzt an. Er sagte kein Wort. Sein Blick wanderte von Anděl zum runden Tisch, der auf der anderen Seite des Büros gegenüber von seinem ausladenden Schreibtisch stand.
Anděls Blick folgte dem des Arztes.
»Guten Tag, Herr Kommissar«, begrüßte ihn der alte Mann, der dort am Tisch saß und rauchte.
Anděl zog überrascht eine Braue hoch. Das war also ˇernýs Besucher. Was für ein glücklicher Zufall.
»Guten Tag, Herr Oberst. Wie schön, dass Sie hier sind, ich wollte Sie nachher auch noch aufsuchen. Da kann ich mir den Weg ja sparen.« Falls es den alten Mann überraschte, dass Anděl ihn mit seinem früheren Dienstgrad angesprochen hatte, ließ er sich nichts anmerken. »Darf ich mich setzen, Herr Doktor?«, fragte er den Gerichtsmediziner und zog sich einen Stuhl heran.
Der Pathologe nickte nur und setzte sich langsam auf seinen schwarzledernen Drehstuhl. Er faltete die Hände auf dem Tisch und sah Anděl an. Von seinem sonst oft so herrischen Wesen war nichts zu spüren.
»Womit kann ich Ihnen helfen, Herr Kommissar?«, fragte Václav ˇerný mit rauer Stimme. Er räusperte sich.
»Darf ich den Herren Kaffee bringen?« Die Sekretärin hatte vorsichtshalber nur den Kopf in die Tür gesteckt.
»Gerne«, sagte Anděl lächelnd. »Den können wir brauchen. Wir haben viel zu besprechen, nicht wahr, Herr Doktor?«
»Ja, bitte«, stimmte ˇerný zu. Er warf ihr einen strengen Blick zu. »Und ich bin jetzt wirklich für niemanden mehr zu sprechen, verstanden?«
Die Sekretärin nickte erleichtert und schloss die Tür.
»Was kann ich also für Sie tun?«, fragte Václav Černý noch einmal.
»Wo waren Sie am Abend des 7. August 1977, Herr Doktor?«, fragte Anděl.
ˇerný sah ihn überrascht an. Dann lachte er auf. »Guter Gott! Das fragen Sie im Ernst? Das ist über zwanzig Jahre her! Woher soll ich das heute noch wissen?«
»Dann will ich Ihnen auf die Sprünge helfen, Herr Doktor«, sagte Anděl. »Es war der Abend vor Ihrer Abreise nach Malta. Ein ganz besonderer Abend – den vergisst man doch nicht so ohne Weiteres, oder?«
»Tatsächlich? Nun, wenn Sie das sagen, wird es wohl stimmen. Aber dann haben Sie doch die Antwort.«
»Ihr Flug ging erst am frühen Morgen. Was haben Sie vorher gemacht?«
»Vorher? Nun, ich vermute, ich habe noch das eine oder andere gepackt. Was man eben so tut, wenn man eine lange Reise antritt. Wieso interessiert Sie das?«, fragte er gereizt.
Die Tür öffnete sich, und die Sekretärin kam mit einem Kaffeetablett herein. Sie ging zum Besprechungstisch, an dem Anděl und Oberst ˇerný saßen, und stellte es ab. Sie stellte jedem von beiden eine Tasse Kaffee hin und trug die dritte zum Doktor.
»Ich habe den Zucker schon hineingetan«, sagte sie zu ihm und verschwand schnell wieder.
Anděl nahm sich ein Stück Zucker aus der Porzellandose auf dem Tablett und schob sie dem Oberst hin. Der schüttelte den Kopf. Anděl rührte seinen Kaffee um und sah den Doktor an. »Bevor Sie an jenem Abend zum Flughafen gefahren sind, haben Sie noch jemandem einen Besuch abgestattet, nicht wahr?«, sagte Anděl. Er trank einen Schluck Kaffee. Filterkaffee. Widerliches Zeug, dachte er.
»Einen Besuch? Wohl kaum. Wie kommen Sie darauf?«
»Jemand hat Sie gesehen, als Sie aus einem Haus in der Saská-Gasse auf der Kleinseite
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