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Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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war also auch dort gewesen. Die hatten sich ja alle buchstäblich die Klinke in die Hand gedrückt. »Sind das jetzt alle Fotos? Oder haben sie noch ein paar verschlampt?«, fragte Anděl gereizt.
    »Angeblich sind es alle. Wer von ihnen hat ihn umgebracht?«
    »Ich weiß es noch nicht, Nebeský, aber sie hatten alle ein Motiv – außer unserer übereifrigen Reporterin. Der alte Mann war übrigens Oberst Černý. Das hat das Väterchen mir eben gesagt.«
    »Oberst Černý? Wer ist das? Ist der etwa mit dem Pathologen verwandt?«
    »Und wie. Ist sein Vater. Und ein ehemaliger Geheimdienstler.«
    Nebeský pfiff ins Telefon. Dann fragte er: »Wer von ihnen, glaubst du, hat den Hora auf dem Gewissen? Die Freeman? Der alte ˇerný? Oder der Doktor?«
    »Keine Ahnung. Wir haben einen Packen neue Geldscheine in seiner Hosentasche gefunden. Ich wette, einer von ihnen hat versucht, ihn mit Geld zum Schweigen zu bringen.«
    »Hineingegangen sind sie alle drei. Aber die Nachbarin hat keinen Schuss gehört.«
    Das, dachte Anděl, spräche für den Oberst. Aber warum sollte er Milan Hora erschießen?
     
    Magda stand mit zwei Kisten in den Armen vor ihrem Schreibtisch im Gerichtsmedizinischen Institut. Auf dem Besucherstuhl saß ihre Mutter. Sie trug einen weißen Laborkittel, den Magda ihr geliehen hatte. Milena Axamit sah aus dem Fenster.
    »Ich habe die Knochen, Mama.«
    Milena wandte sich ihrer Tochter zu und nickte. Sie stand auf und streckte sich. »Wo kann ich arbeiten?«
    Magda deutete auf einen Arbeitstisch an der Wand. »Ist dir der recht?«, fragte sie.
    Milena nickte. »Hast du auch die anderen Sachen, die ich brauche?« Sie musste sie nicht aufzählen, diese anderen Sachen. Ihre Kinder waren mit ihrer Arbeit aufgewachsen. Besonders Magda. Sie war von klein auf von der Arbeit ihrer Mutter fasziniert gewesen und hatte oft gebeten, dabei sein zu dürfen, wenn Milena an der Rekonstruktion von Gesichtern arbeitete. Anfangs hatte Milena die Bitte abgeschlagen. Das sei nichts für Kinder. Aber Magda war hartnäckig geblieben. Als sie dann studiert hatte, hatte sie ihrer Mutter in den Semesterferien oft geholfen. Sie war recht gut gewesen, doch letztendlich war sie bei der Gerichtsmedizin geblieben.
    Milena ging zu dem Arbeitstisch hinüber, auf den Magda die Kisten abgestellt hatte. Sie öffnete die größere. Es war alles da. Magda nahm den Deckel von der kleineren ab. Milena blickte hinein. Viele kleine und größere Knochenstücke, die einmal einen Schädel gebildet hatten. Es würde viel Arbeit werden.
    »Das wird eine Weile dauern, Liebes«, sagte Milena.
    »Ich weiß, Mama. Ich bin froh, dass es nicht Tante Dana ist.«
    Milena nickte. Ja, darüber war sie auch froh. Aber Dana … Dana war trotzdem tot. Sie hätte ihre Schwester wiedersehen können. Sie waren zur gleichen Zeit durch Prag gelaufen und hatten nichts davon gewusst.
    Milena war am Abend ihrer Ankunft in die Stadt gegangen, nachdem sie das Gepäck in Magdas Wohnung gebracht hatten. Sie hatte spazieren gehen wollen. Allein. Sie war durch die Straßen der Altstadt gelaufen und hatte versucht, nicht über diese ganze grässliche Geschichte nachzudenken. War sie, ohne es zu ahnen, irgendwo in diesen Gassen an ihrer Schwester vorbeigelaufen? War sie deshalb alleine spazieren gegangen? Hatte sie gehofft, Dana irgendwo da draußen zu treffen? Sie wusste es nicht. Was hätte sie ihr schon sagen sollen? Hallo, Dana, schön dich zu sehen? Oder hätte sie sie endlich zur Rede gestellt, nach all den Jahren? Hätte sie diese ganze Tragödie verhindern können, wenn sie damals gesprochen hätte, damals in jenem grässlichen Sommer vor so vielen Jahren? Wie hatte Dana nur so etwas tun können? Sie verstand es noch immer nicht. Oder doch? Sie dachte an jenen anderen Sommer, der so tragisch geendet hatte. Es war ein Unfall, dachte sie, nur ein tragischer Unfall. Oder hatte Dana doch … Sie wusste es nicht. Und nun würde sie es nie mehr erfahren. Vielleicht war das besser so.
    Milena sah ihre Tochter an, die inzwischen hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen hatte und dabei war, ein Formular auszufüllen. Milena lächelte. Sie war stolz auf ihre vier Kinder. Aber ihre älteste Tochter lag ihr ganz besonders am Herzen. Nicht dass sie ihre jüngere Tochter oder ihre beiden Söhne weniger liebte – das war etwas anderes. Sie hatte Magda von der ersten Sekunde an geliebt, als wäre sie … sie war ihre Tochter. Punkt. Sie würde alles tun, um sie nicht die ganze Wahrheit

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