Nasses Grab
ein Kind will, dessen Vater ein Mörder ist.«
»Das Kind kann nichts dafür, Xenia.«
»Ich weiß.«
»Ich dachte, ihr hättet …«
»Aufgepasst? O ja. Wie man eben so aufpasst, wenn man verheiratet ist und glücklich und sich in einem schwachen Moment denkt, ach, warum eigentlich nicht? Er hatte versprochen, dass es keine Affären mehr geben würde. Er wollte so gern ein Kind – und ich, na ja, es war so ein schöner Abend, wir waren im Theater und dann essen, im Palffy, weißt du, und dann... es war so schön, und ich dachte... Ach verdammt, ich habe gar nichts gedacht! Und nun habe ich den Salat. Wieder den ganzen Mist von vorn, jetzt, wo die Kinder schon so groß sind. Und dann macht der Idiot mit dieser Tussi rum! Mistkerl, verdammter! Ich weiß nicht, was ich tun soll, Magda.«
»Wir sind da«, sagte Magda. Sie parkte den Wagen und sah Xenia an. »Du musst das nicht sofort entscheiden, Liebes. Jetzt gehen wir erst mal zu Jay.«
Xenia nickte. Sie stiegen aus und machten sich auf den Weg zur Intensivstation.
Jay lag angeschlossen an Dutzende Schläuche und Apparate in einem Bett und schlief. Sein verbundener Brustkorb hob und senkte sich. Das EKG über dem Kopfende piepte im Rhythmus seines Herzschlags. Xenia strich ihm zärtlich über die Stirn.
»Du verdammter Idiot«, sagte sie sanft. »Sieh zu, dass du gesund wirst. Ich brauche dich. Und dieser Knirps auch.« Sie strich sich über den flachen Bauch.
Sie liebt ihn noch immer, dachte Magda. Das Techtelmechtel, das zu seinem Rauswurf geführt hatte, schien im Moment vergeben und vergessen. Nun, im Vergleich zu dem Ärger, den er sonst noch hatte, war das auch fast vernachlässigbar.
Seltsam, dachte Magda, als sie Jay so liegen sah, das also ist mein Vater. Mein biologischer Vater, korrigierte sie sich sofort. Gregory Axamit war ihr Vater, der Mann ihrer Mutter – die nicht ihre Mutter war. Ach verdammt, was für ein Chaos. Sie liebte ihre Eltern, diese beiden Menschen, die sie ihr ganzes Leben dafür gehalten hatte. Aber da waren nun noch diese beiden anderen. Dana tot und Honza auf der Intensivstation. Auch ihre Eltern. Jay war ihr Vater. Auch ihr Vater. Aber er war vor allem ein Freund, ein guter Freund, der Ehemann ihrer besten Freundin. Selbst wenn sie seine Eskapaden nie verstanden hatte, sie mochte ihn gern, diesen großen Jungen. Sie wusste, dass er mehr als zwanzig Jahre älter war als Xenia und sie selbst, doch er wirkte so viel jünger – nicht wie der Vater einer erwachsenen Frau. Peter Pan, dachte sie, Peter Pan, der versehentlich erwachsen geworden war, wenngleich nur äußerlich.
Sie lächelte innerlich – er wirkte auch nicht wie ein Großvater, der er ja auch war. Zwei Enkel, Jay. Du hast viel versäumt. Sie erinnerte sich an den Tag, als Xenia ihn ihr vorgestellt hatte. Ein gut aussehender Mann, der ihr auf den ersten Blick sympathisch gewesen war. Sie hatten sich auf Anhieb verstanden. Und Xenia war so unglaublich verliebt gewesen, so unendlich glücklich. Nach der Tragödie mit dem Vater ihrer Kinder hatte sie dieses Glück mehr als verdient. Magda dachte an die wunderbaren langen Gespräche in ihrem Wohnzimmer – sie und Xenia und Jay, und im Hintergrund die fröhliche Kinderschar. Er war Xenias Kindern ein guter Stiefvater gewesen, hatte sie aufrichtig geliebt. Und sie ihn auch. Gott sei Dank waren sie nicht da. Vielleicht war die ganze Sache ja vorbei, bis sie aus den Ferien wiederkamen. Vielleicht brauchten sie nie etwas von all dem zu erfahren. Aber er war nicht nur der sympathische Mann, als den sie ihn kennengelernt hatte, er war auch Honza, der Spitzel. Der Mörder? Nein, das durfte nicht wahr sein. Sie schüttelte den grässlichen Gedanken ab. Er musste gesund werden. Sie hatte alles dazu getan, was sie konnte. Nun lag es an ihm. Und an den Ärzten.
»Sie sind die Ehefrau?«
Magda und Xenia drehten sich um. Hinter ihnen stand ein junger Arzt.
»Ja, ich bin seine Frau«, sagte Xenia und räusperte sich. »Wie geht es ihm?«
»Den Umständen entsprechend gut. Wir sorgen dafür, dass er schläft. Er hat viel Blut verloren, wir haben ihm Transfusionen gegeben. Die OP hat er gut überstanden. Er ist stabil. Sieht gut aus. Er hatte Glück.«
»Kann ich bei ihm bleiben?«
»Tut mir leid«, der Arzt schüttelte den Kopf, »eigentlich hätten wir Sie gar nicht hineinlassen dürfen. Intensivstation, Sie verstehen? Aber in Anbetracht der Umstände … Sie sollten jetzt trotzdem gehen. Wir informieren Sie, wenn etwas sein
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