Nasses Grab
gefragt, nachdem Larissa ihr von dem Anruf und ihrem voreiligen Schluss erzählt hatte. Sie kannte Meda von einer Party bei Robin, wo sich die beiden jungen Frauen vor ein paar Wochen eine Weile angeregt unterhalten hatten. Das wissen doch alle, wie die zu Tode gekommen ist, hatte Meda hinzugefügt. Klar, alle wussten das, dachte Larissa, nur ich nicht, weil ich keine Ahnung von tschechischen Schauspielern habe.
Sie wusste schon, warum sie sich standhaft weigerte, für die Kulturredaktion zu arbeiten, da wären peinliche Situationen programmiert. Na, vorbei. Nun stand sie also hier auf dem schönen alten Friedhof und versuchte seit einer halben Stunde, das Grab dieser Schauspielerin zu finden. Sie würde sich etwas anderes einfallen lassen müssen, denn wenn sie auf gut Glück weitersuchte, würde sie das Grab in hundert Jahren nicht finden – sofern es sich überhaupt auf diesem Friedhof befand. Was hatte Nebeský gesagt? Die Volná könnte auch in Jugoslawien beerdigt sein. Immerhin war sie dort gestorben. Im Urlaub. Hatte man damals Tote in ihr Heimatland überführt? Wer weiß, dachte Larissa. Aber mal angenommen, sie ist hier beerdigt. Wie sollte sie das Grab finden? Sie dachte an den Pariser Friedhof. Vielleicht gab es hier ja auch Karten des Friedhofs zu kaufen, auf denen die Gräber wichtiger Persönlichkeiten eingezeichnet waren. Wäre Dana Volná wichtig genug gewesen, um sie in einer solchen Karte einzutragen? Einen Versuch war es wert.
Sie drehte sich um und ging entschlossen zurück zum Eingang. In dem Häuschen am Tor saß eine alte Frau hinter einem hohen Tresen an einer alten Schreibmaschine und tippte bedächtig einen Buchstaben nach dem anderen in ein Formular. Sie hatte schneeweißes Haar und ihr Gesicht einen gütigen Ausdruck. Larissa straffte die Schultern und räusperte sich.
»Guten Tag. Entschuldigen Sie, könnten Sie mir wohl eine Auskunft zu einem Grab geben?«, fragte sie.
Die alte Frau blickte auf und schob ihre Lesebrille auf die Nasenspitze hinunter. Mit freundlichen Augen sah sie Larissa an.
»Aber natürlich, Herzchen, was möchten Sie wissen?«
Die Frau erinnerte Larissa an ihre eigene Großmutter, die hatte auch immer so über ihre Lesebrille geguckt, mit dem gleichen Ausdruck freundlichen Interesses.
»Ich suche nach dem Grab einer Tante«, flunkerte Larissa etwas verlegen, »und meine Großmutter hat vergessen, mir zu sagen, wo es sich befindet. Ich wollte ein paar Blumen auf das Grab legen.« Sie hob ihre Hand, in der sie einen kleinen Strauß orangeroter Moosröschen hielt. Sie hatte sie an einem der Blumenstände vor dem Eingang zum Friedhof erstanden. Eine sentimentale Anwandlung, aber nun war sie froh darum.
»Aber natürlich, Herzchen, wenn Sie mir sagen, wie Ihre Tante hieß, kann ich Ihnen sagen, wo sie liegt.« Die Frau stand auf und kam an den Tresen.
»Sie hieß Dana Volná.«
»Ach, da muss ich gar nicht nachsehen, das weiß ich aus dem Kopf, wo sie liegt. Es ist gleich um die Ecke, ein Urnengrab in der Friedhofsmauer da drüben. Die Nummer achtundsechzig, oberste Reihe. Ich weiß aber nicht, ob eine Vase drin ist«, fügte sie mit einem Blick auf die Blumen hinzu. »Außen hängt aber auf jeden Fall eine.«
Larissa dankte ihr und ging hinaus in die Sonne. Sie wandte sich nach rechts zur Mauer und schlenderte an den in die Ziegelwand eingelassenen verglasten Urnengräbern vorbei.
Es ist schon ein seltsamer Brauch, dachte sie, die Urnen wie in einem Schaufenster auszustellen. Die ganze Mauer bestand aus großen verglasten Kästen, drei Reihen übereinander, in denen die Angehörigen ihren Verstorbenen so etwas wie kleine Wohnungen eingerichtet hatten, mit Häkeldeckchen, Blumensträußen, Fotos und kleinen Andenken. Ein bisschen wie die alten Ägypter, dachte sie. Wenige der Kästen enthielten nur die Urne selbst, die meisten waren mehr oder weniger kitschig dekoriert. In vielen dieser sonderbaren Schaufenster des Jenseits standen mehrere Urnen – eine deprimierender als die andere. Dass niemand auf die Idee kam, die Dinger etwas hübscher und fantasievoller zu gestalten – schließlich sollte man den Rest der Ewigkeit darin verbringen. Das Grab Nummer achtundsechzig war nicht schwer zu finden. Es war ein Glaskasten wie alle anderen, aber außer einer schlichten schwarzen Urne und einer dicken Staubschicht befand sich nichts darin. Neben den wohlausgestatteten anderen Urnengräbern wirkte das von Dana Volná öd und vergessen. Als habe sich in all der
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