Nasses Grab
Zeit kein Mensch darum gekümmert.
Auf der Urne stand in kursiver Schrift Dana Volná – sonst nichts. Kein Geburts- und auch kein Todesdatum. Das war weiter nichts Besonderes, wie Larissa inzwischen festgestellt hatte. Selbst auf den Grabsteinen stand oft nur der Name des Verstorbenen. Auf den neueren begnügte man sich gar nur mit dem Familiennamen. Larissa steckte die Blumen in einen Halter, der an der Seite festgeschraubt war, und verließ nachdenklich den Friedhof. Mit einer übervollen Straßenbahn fuhr sie dann zurück in die Innenstadt und stieg am Wenzelsplatz aus. Langsam ging sie hinüber zum Hotel Evropa. An einem der Tischchen vor dem Hotelcafé wartete bereits Lída Karafiátová auf sie.
Lída war eine Sängerin, der Larissa einmal nach einem Jazzkonzert vorgestellt worden war und die sie seither ab und zu auf Vernissagen getroffen hatte. Was sollte sie nun tun? Ihr Hirn war ein einziges Kuddelmuddel gewesen nach diesem anonymen Anruf. Nun, sie konnte immerhin mit Lída etwas trinken. Nach Dana zu fragen, machte ja keinen Sinn mehr. Schließlich konnte sie nicht die Mumie sein. Aber vielleicht ergab sich ja eine andere Geschichte. Sie spekulierte insgeheim auf einen Wechsel zu RFE. Alena Freeman hatte ihr da einen schönen Floh ins Ohr gesetzt. Aber offenbar hatten es alle darauf abgesehen. Erst Alena, nun der Anrufer. Und sie fiel darauf rein. Naivling , schalt sie sich. Wenn sie so weitermachte, sollte sie besser zu Blesk gehen. Diese Boulevardzeitung nahm es mit der Wahrheit nicht immer allzu genau. Dafür wurde gerne wild spekuliert.
»Ah, da sind Sie ja, Herzchen«, rief Lída und strahlte Larissa an, als diese an ihren Tisch trat. »Setzen Sie sich doch.«
Larissa stellte ihre Handtasche unter den kleinen Bistrotisch und nahm Platz. Lída war eine Frau von vielleicht Ende fünfzig, die sich redlich und verhältnismäßig erfolgreich bemühte, die Zeichen ihres Alters zu überspielen. Sie hatte dunkelviolettes lockiges Haar und war sehr jugendlich gekleidet. Passend zu ihrer Mähne trug sie ein kurzes, orangefarbenes Sommerkleid und hochhackige lila Sandalen. Mit ihren schlanken Beinen, dachte Larissa bewundernd, konnte sie sich das immer noch leisten.
»Schön, dass Sie ein bisschen Zeit für mich haben«, sagte Larissa und lächelte die Sängerin an. Bei einer jungen Kellnerin, die gerade an dem Tisch vorbeiging, bestellte sie ein Ginger Ale.
»Natürlich habe ich Zeit. Sie wollen also etwas über Dana Volná erfahren, ja? Was möchten Sie denn wissen? Für ein Interview ist es ja leider ein wenig spät, nicht?«
Allerdings, dachte Larissa verärgert, das hättest du mir auch gleich sagen können. Nun, sie hätte sich auch vorher über Dana Volná informieren können, statt gleich zu Anděl zu rennen. Selbst schuld. Sie schob ihre Verärgerung beiseite. Aber was sollte sie Lída nun fragen? Sie brachte es nicht fertig, der älteren Frau zu sagen, dass sich ihr Interesse an der Schauspielerin erledigt hatte. Lída war offenbar froh, ihr etwas erzählen zu können. Sollte sie. Warum auch nicht? Es war ein schöner Tag, und ein paar nette Anekdoten konnten ihre Laune nur heben. Und wer weiß, vielleicht kam am Ende ja doch ein Artikel zustande.
»Kannten Sie Dana Volná denn?«, fragte Larissa.
»Kennen? O ja, Herzchen. Wir waren ein Herz und eine Seele, wissen Sie. Ach, sie war so eine begabte Schauspielerin! Und dann so jung zu sterben! Schrecklich!« Lída unterstrich ihre Worte mit so beredten Gesten, dass sie beinahe das Glas Ginger Ale umgestoßen hätte, das die Kellnerin gerade auf den kleinen Tisch stellte.
»Wie alt war Dana denn, als sie starb?«, fragte Larissa.
»Lassen Sie mich nachdenken – na, sie war Jahrgang fünfundvierzig, wie ich, aber verraten Sie das bloß niemandem! Und gestorben ist sie im August 1977, auf dieser Reise in Jugoslawien, wissen Sie. Das heißt, sie war zweiunddreißig. Kein Alter. Eine bildschöne junge Frau! Haben Sie ihre Filme gesehen? Neulich kam wieder dieses romantische Märchen im Fernsehen.«
»Ja, das habe ich gesehen. Sie sagten, Dana sei in Jugoslawien gestorben. Bei einem Unfall?«
»Ich glaube, es stand damals in der Zeitung. War kurz nach ihrem Geburtstag, wissen Sie. Gott, haben wir gefeiert! Nur wir Mädels – keine Männer! Ich habe mein berühmtes Kartoffelgulasch gekocht, und Lenka hatte irgendwo eine Flasche echten französischen Champagner aufgetrieben, wissen Sie. Keine Ahnung, wie sie das geschafft hat! Wahrscheinlich hat
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