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Nasses Grab

Nasses Grab

Titel: Nasses Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Reich
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Wort zugemacht. Leise, aber endgültig. Milena hatte den Briefumschlag mit den Fotos unter der Tür hindurchgeschoben und war gegangen. Vielleicht war das ein Fehler gewesen.
    Sie hatte erst wieder von Dana gehört, als der junge Mann von der tschechoslowakischen Botschaft ihnen mitteilte, dass Dana bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Es ist vorbei, hatte sie damals erleichtert gedacht, endlich! – Und sich für diesen Gedanken geschämt.
    Sie wandte sich wieder ihrer Mutter zu, die versonnen noch immer die Fotos betrachtete. Die Miene der alten Frau war ausdruckslos. Keine Trauer, keine Angst, keinerlei Gefühl sprach aus ihr.
    »Wie konnte sie das nur tun?«, flüsterte Anna Navrátilová. »Sie ist doch auch mein Kind.« Tränen rannen ihr über die Wangen.
    Milena wischte ihrer Mutter zärtlich eine Träne ab. »Mama, wir haben Danas Todesurkunde. Der Mann von der Botschaft hat sie uns damals gebracht, erinnerst du dich denn nicht?«
    Anna Navrátilová riss sich von ihren Erinnerungen los. »Pah. Es wird eine Verwechslung gewesen sein«, antwortete sie unwirsch. »Das kommt vor. Jedenfalls häufiger, als dass jemand so einen Doppelgänger hat, Herzchen.«
    Milena sah ihre Mutter zweifelnd an.
    Anna Navrátilová schlug wütend mit der Hand auf den Küchentisch. »Großer Gott, Kind, du weißt doch wohl am besten, wie Unfallopfer aussehen können! Wer weiß, wer sie überhaupt identifiziert hat? Und wer sagt, dass dieser Mensch wirklich von der Botschaft war? Dieser, dieser … wie hieß er doch gleich … Bono? Bonto? Nein, Bomo, das war es. Ziemlich seltsamer Name für jemanden von der tschechoslowakischen Botschaft, findest du nicht?«
    »Aber Mama …«
    »Schluss jetzt! Ich wollte damals schon nach Prag fliegen – und ich habe es mir ausreden lassen. Diesmal mache ich, was ich für richtig halte. Ich werde nach Prag fliegen und dieser Sache auf den Grund gehen.« Anna Navrátilová warf den Kopf zurück und sah ihre Tochter herausfordernd an. »Zur Not alleine«, fügte sie stur hinzu.
    Milena betrachtete still ihre alte Mutter. Wie ähnlich Dana und sie einander doch waren. Stur und temperamentvoll. Anna Navrátilová hatte damit ihre Kollegen im Krankenhaus zur Verzweiflung getrieben, wenn sie unnachgiebig ihre Vorstellungen über die Geburtshilfe durchsetzte, mochten sie noch so exotisch sein. Dana war wahrscheinlich für jeden Regisseur eine Pest gewesen. Aber eine sehr gute Schauspielerin. Sie besaßen beide einen Willen, der, wenn es sein musste, alles niederwalzte, was sich ihnen in den Weg stellte. Mein Weg, oder kein Weg, schien immer das Motto der beiden gewesen zu sein. Aber bei ihrer Mutter paarte sich dieser Wille mit ebenso großem Mitgefühl und inniger Liebe. Dana – nun, sicher hatte auch sie Gefühle, doch Liebe, sofern sie dazu überhaupt in der Lage war, dachte Milena traurig, hatte sie immer nur für sich selbst empfunden. Und Mitgefühl war ihr so fremd wie einem Stein.
    Sie seufzte resigniert. Was wollte Dana in Prag? Falls sie denn überhaupt dort ist, fragte sich Milena. Was musste Magda auch dieses Foto in der alten Zeitschrift finden?! Aber natürlich – wenn Cassia recht hatte und diese Frau auf dem Foto tatsächlich Dana zeigte, dann gab es nur einen Grund dafür, dass sie in Prag war.
    »Ja, Kind«, sagte ihre Mutter mit leiser, aber fester Stimme, als hätte sie die Gedanken ihrer Tochter gelesen, »es ist Zeit für die Wahrheit.«
     
    David Anděl las zum dritten Mal den Bericht, den Cajtík ihm vor ein paar Minuten auf den Tisch gelegt hatte. Am Ufer der Moldau, in Roztoky, einem Stadtteil im Nordwesten von Prag, hatte ein Spaziergänger ein Bein gefunden. Besser gesagt, sein Hund hatte es im Uferschlamm aufgespürt. Ein Bein. Sonst nichts.
    Otakar Nebeský hatte es, nachdem die Spurensicherung ihre Arbeit erledigt hatte, ins Gerichtsmedizinische Institut bringen lassen. Antonín Cajthaml hatte gesagt, Jirka Kratochvíl würde es sich heute noch ansehen.
    Anděl schüttelte irritiert den Kopf. Kehrten jetzt langsam amerikanische Verhältnisse hier ein? Erst eine Mumie in der Metro, jetzt ein herrenloses Bein am Ufer der Moldau, und nicht zu vergessen – vor zwei Wochen am hellen Nachmittag eine Schießerei in der Nähe des Bahnhofs.
    Er hatte das ungute Gefühl, dass dieses Bein herrenlos bleiben würde. Außer irgendein armer Tropf fände irgendwann die dazugehörige Leiche. Wo sollten sie anfangen, nach dem Rest der Bescherung zu suchen? Das halbe Land war

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