Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
ermordet worden, weißt du das?«
»Es waren Männer – ich bin ein Mädchen!«
»Das ist eine logische Antwort.« Tassburg setzte sich wieder auf die Eckbank. »Los!« sagte er laut.
Natalia zuckte zusammen, und ihre Augen bekamen einen erschrockenen Ausdruck.
»Du schläfst in meinem Bett! Keine Widerrede! Ich schwöre dir, daß ich dich nicht im Schlaf überfallen werde! Genügt dir das?«
»Wenn du es sagst …« Sie schob sich an ihm vorbei in den Schlafraum. »Und morgen früh?«
»Da wird man sich zuerst wundern, daß ich noch lebe. Ich werde Ihnen eine tolle Geschichte erzählen, was ich in der Nacht erlebt habe. Eine bleiche Frau steht mit einem Messer vor meinem Bett, und als ich sie fassen will, löst sie sich in Nebel auf, und rotes Wasser wie Blut haftet an meinen Händen.«
»Das wird dir keiner glauben, Michail.«
»Sie werden zittern vor Ehrfurcht, soll ich mit dir wetten?«
»Wetten? Um was?« Sie lächelte wieder sanft und schwach.
»Darum, daß du länger als zwei Tage bei mir bleibst.«
»Ich nehme die Wette nicht an«, sagte sie rauh, und schlüpfte ins Schlafzimmer und warf die Tür zu. Tassburg hörte, wie sie den Stuhl und eine der blechbeschlagenen Kisten davorschob.
Sie mißtraut mir noch immer, dachte er. Sicherlich war das mit der Wette falsch, sie hat es anders aufgefaßt … Nun frage dich mal ernsthaft, Michail Sofronowitsch: Willst du sie nicht bei dir behalten, weil ihr Anblick dich erfreut? Ist dir nicht jetzt schon der Gedanke bitter, daß sie plötzlich wieder verschwinden könnte? Zurück in die unendliche Taiga, in der sich alle Spur verliert?
Er legte sich auf die Eckbank, schob die zusammengelegte Jacke unter seinen Nacken und dachte daran, daß in einer ähnlichen Lage der gute Morosowski sich das Genick gebrochen hatte. Sicherlich nur ein Zufall, wie man auch in einer Waschschüssel ertrinken kann, wenn man plötzlich das Bewußtsein verliert.
Obgleich er wachbleiben wollte und auf Geräusche aus dem Nebenzimmer lauschte, schlief er bald ein. Erst die helle Sonne weckte ihn. Er drehte sich auf die Seite und sah Natalia am Herd sitzen. Sie hatte die Hände in den Schoß gelegt und beobachtete ihn. Sie nickte ihm zu, als er sie verblüfft ansah, und warf ihr langes Haar in den Nacken. Jetzt, am Tag, war es heller als er gedacht hatte: ein lichtes Braun mit einem Schimmer Rot darin, eine eigenartige Haarfarbe, die er noch nie bei einer Frau gesehen hatte. Aber sie paßte zu Natalia, zu ihrem schlanken Körper, zu den großen braungrünen Augen und dem Mund, dessen Lippen beinahe etwas zu voll waren. Ein lockender Mund war es, voller Lebenslust. Es war verständlich, daß ein Mann wie Kassugai alles aufbot, um dieses Mädchen in seinen Besitz zu bringen …
»Du hast fest geschlafen«, sagte sie. »Du hast nichts gehört.«
»Gar nichts, Natalia.« Er erhob sich und schüttelte die zerknüllte Jacke aus, die unter seinem Kopf gelegen hatte. »Du bist wirklich leise wie ein Geist!«
»Der Tee ist fertig. Ich habe in den Vorräten nachgesehen. Ich kann dir Schinken mit Eiern braten, oder mit Käse …«
»Wie hast du geschlafen?« fragte er, ging in sein Schlafzimmer und steckte den Kopf in die emaillierte Waschschüssel. Sein Bett war glattgezogen, als habe sie es gar nicht benutzt. Sie kam ihm nach und blieb in der offenen Tür stehen.
»Es war zu weich«, sagte sie und deutete auf das Bett. »Ich bin das harte Schlafen gewöhnt.«
»Dafür spüre ich heute jeden Knochen.« Er reckte sich und zog sein Hemd aus. Mit nacktem Oberkörper wusch er sich weiter, und sie schaute ihm zu und betrachtete seine Muskeln, die behaarte Brust, die breiten Schultern.
»Du bist auch schön«, sagte sie plötzlich.
Er hielt mit dem Waschen inne und richtete sich auf. »Danke! Weißt du, daß es das erstemal ist, daß eine Frau so etwas zu mir gesagt hat?«
»Wieso? Was sagen sie denn …?«
»Nun … Du bist stark! Du bist ein Schatz! Du bist wie ein Bär! Du gefällst mir! Du bist ein geliebter Schuft! Ja, und viele solche Sachen. Aber noch keine hat mir gesagt, daß ich schön bin.«
»Du hast es ja auch zu mir gesagt.«
»Weil du es bist, Natalia.«
»Und du bist es auch.« Sie lehnte sich gegen den Türrahmen und flocht einen kleinen Zopf in ihr Haar. »Du hast schon viele Frauen gehabt?« fragte sie endlich.
»Viele? Einige … im Lauf der Jahre.«
»Und keine hast du geliebt?«
»Ich glaube doch.«
»Warum bist du dann immer wieder von ihnen
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