Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
weggelaufen?«
Das ist eine Frage, dachte Tassburg. Ja, warum bin ich immer wieder weggegangen und habe nie geheiratet? Wegen des Berufs natürlich. Wer die Taiga erforschen muß, hat keine Zeit für ein bürgerliches Eheleben. Was haben eine Frau und Kinder davon, wenn der Ehemann und Vater ein Jahr lang in den Wäldern lebt und dann zurückkommt, um nach einem Monat wieder wegzuziehen? Wer macht das mit? Eine Frau will ihre Wohnung haben, ihr Bett, ihr geruhsames Leben, ein Nest, in dem die Familie wachsen kann. Ich kann ihr das nicht bieten …
»Vielleicht habe ich wirklich noch nie richtig geliebt«, sagte er trotz dieser Gedanken und eigentlich gegen jede Vernunft. »Die Taiga war immer stärker.«
»Sie ist stärker! Aber eine Frau kann doch mitgehen.«
»Monatelang durch die Wildnis?«
»Wenn sie liebt …«
»Ich habe darüber noch nie nachgedacht, weil ich es für unmöglich hielt.« Tassburg begann sich abzutrocknen. »Wir alle machen ständig große oder kleine Fehler in unserem Leben.« Er ging zu einer Kiste, holte ein neues Baumwollhemd aus einer Schachtel und zog es über. »Dein Speck wird schwarz, Natalia. Ich rieche es!«
»O Jesus!« Sie rannte ins Wohnzimmer, und er hörte, wie sie mit der Eisenpfanne klapperte. Er kämmte sich sorgfältig und warf einen Blick nach draußen.
Vor Anastasias Haus, auf einer Birkenholzbank, hockten, wie Hühner auf der Stange, der Pope Tigran, die Witwe Morosowskaja, ein Vorarbeiter Tassburgs, der vom Lager gekommen war, um seinen Chef abzuholen und – etwas abseits und einen Apfel kauend – der Dorfidiot Jefim Aronowitsch. Sie starrten auf das verfluchte Haus und warteten.
Tassburg ging in das Wohnzimmer und winkte Natalia ab, als sie mit der Pfanne zum Tisch wollte. Dort standen zwei Teller, das Brot war schon geschnitten, der Tee dampfte in einem Kesselchen.
»Noch fünf Minuten, mein Mädchen«, sagte er. »Draußen sitzen sie herum und warten, daß sie die Glocke läuten können. Ich muß ihnen zeigen, daß ich noch lebe!«
»Dann kommen sie herein …«, rief Natalia ängstlich, und ihre Augen wurden riesengroß.
»Nicht einen Schritt, Natalia, du solltest mir wirklich vertrauen.«
Er ging schnell zur Tür und war plötzlich von einem rasenden Glücksgefühl erfüllt, als sie ihm nachrief:
»Ich will es ja tun, Michail! Es ist noch so schwer, an einen Menschen zu glauben …«
III
Der Pope Tigran, Anastasia, der Vorarbeiter und Jefim fuhren von der Bank hoch, als Tassburg in der Tür des Hauses erschien.
»Er lebt!« rief Tigran mit seinem dröhnenden Baß. »Er hat es wirklich überlebt! Michail Sofronowitsch, als sich drinnen nichts rührte, haben wir schon für Sie gebetet.«
»Nicht nötig, liebe Freunde.« Tassburg lächelte. »Aber ich mußte mir erst das rote Wasser, das aussah wie Blut, von den Händen waschen.«
»Was mußten Sie?« fragte Tigran entsetzt. »Rotes Wasser? Im Haus?« Sein langer Bart sträubte sich faszinierend.
»Also das war so: In der Nacht wache ich auf, und vor meinem Bett steht eine bleiche Frau mit einem Messer in der Hand!«
»Heilige Mutter von Kasan!« wimmerte Anastasia, fiel auf die Knie und faltete die Hände. »Es geht wieder los!«
»Aber Angst? Kenne ich Angst?« fuhr Tassburg ungerührt fort. »Ich schnelle hoch, will sie packen, doch da bleibt nichts zurück als Nebel, der sofort verschwindet. Nur meine Hände waren mit rotem Wasser übergossen.«
»Blut!« schrie Jefim, der Idiot, und lief davon. »Blut! Blut!« Ganz Satowka mußte es hören.
»Morgen lasse ich das rote Wasser an den Händen, falls sie wiederkommt!« meinte Tassburg ruhig. »Damit ihr es alle seht …«
»Das Kreuz hat dich geschützt, mein Bruder!« sagte Tigran feierlich. »Mein Kreuz, das ich dir geliehen habe! Komm mit mir, ich muß dich mit Weihwasser besprengen. Und überlege dir, ob du nicht doch zu mir umziehen willst.«
»Nie!« sagte Tassburg laut und endgültig. »Der Geist stört mich nicht. Im Gegenteil – er ist bezaubernd anzusehen …«
Der Pope starrte Tassburg an. Sie beginnt, dachte er entsetzt. Die Geistesverwirrung …
Es half kein Reden, auch die Ausrede, die Arbeit rufe, hatte keinen Erfolg: Tassburg mußte mit in die Kirche, um sich vom Popen Tigran Rassulowitsch den bösen Zauber der vergangenen Nacht durch Weihwasser und Gebet vertreiben zu lassen.
Sie gingen alle mit. Der Idiot Jefim hatte sich wieder eingefunden und tanzte nun wie ein dressierter Bär vor ihnen her. Mit an den Mund gelegten
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