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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gebracht haben?« Sie lehnte sich an die Wand und schob mit beiden Händen ihr langes Haar aus dem Gesicht. Tassburg kam näher, so nahe, daß er in der Dämmerung ihr Gesicht erkennen konnte, und verspürte wieder dieses tiefe Glücksgefühl, sie bei sich zu wissen.
    »Diese Opferwelle hat Jefim, der Idiot, ausgelöst. Ich werde es dir nachher erzählen. Die Gräfin hat Hunger …« Er hob die Hände und strich Natalia sanft über das Haar. Sie blieb einen Augenblick wie erstarrt stehen, dann wich sie der Berührung aus.
    »Soll ich wieder kein Licht machen?« fragte Michail mit belegter Stimme. Natalia schüttelte den Kopf. Ihr Gesicht hatte einen ängstlichen Ausdruck, als sie widersprach:
    »Man kann in die Stube sehen, Michail Sofronowitsch.«
    »Dann hänge ich einen Sack davor!«
    »Das wird auffallen.«
    »Heute nacht wird noch vieles auffallen, Natalia.« Er lachte und zeigte auf den prallen Rucksack, der mitten im Zimmer stand. »Ich habe eine Menge Sachen mitgebracht, um den Höllenspuk für alle sichtbar zu machen. Du wirst dich wundern! Ab morgen wird keine Festung so sicher sein wie dieses Haus!« Er sah sich um, zog seinen Rock aus und ging ins Schlafzimmer. »Was essen wir heute, Natalia?«
    »Ich habe alles vorbereitet«, sagte sie aus der Dunkelheit, »aber ich konnte nichts kochen. Man hätte es draußen gerochen. Du hast gesalzenes Fleisch hier, ich habe es gewässert und mit Gewürzen eingerieben. Wir können es jetzt braten!«
    »Zuerst machen wir endlich Licht!« Er ging ins Nebenzimmer, holte eine Decke, Nägel und Hammer und verhängte das Fenster. Dann zündete er die Propangaslampe an, und das helle Licht traf Natalia. Sie blinzelte und kniff die Augen zusammen, unwillkürlich drückte sie sich in die Ofenecke.
    »Es sieht uns keiner mehr«, sagte Tassburg. »Fache das Feuer an und setze den Braten auf! Ich gehe hinaus, um mir die Geschenke anzusehen.«
    »Sie sind nicht für uns!«
    »Aber wir können sie gut gebrauchen. Vor allem du!« Er blieb vor ihr stehen, aber er wagte nicht mehr, sie anzufassen. »Ich habe allen Leuten erzählt, wie schön mein Geist ist. Lange hellbraune Haare, Augen wie eine Katze …«
    »Du bist verrückt!« sagte sie leise. Ihr Blick traf ihn und drang in ihn mit einem wohligen Schmerz. »Wie kannst du so etwas sagen?«
    »Stimmt es nicht?«
    Sie wandte sich brüsk ab und ging zum Herd. »Das Feuer geht aus.« Sie legte dicke Scheite auf die Glut, hockte sich davor und blies so lange, bis sich eine Flamme bildete.
    Er stand hinter ihr und sah ihr zu. Es kostete ihn große Kraft, nicht nach ihr zu greifen und sie an sich zu ziehen. Was ist los mit dir, Michail? dachte er. Da läuft ein Mädchen durch die Taiga, verkriecht sich wie ein Tier, und du verwandelst dich, kaum daß du sie gesehen hast. Werde nur kein Idiot wie Jefim Aronowitsch! Für Natalia bist du mit deinen 32 Jahren ein alter Mann, und wenn du sie an dich ziehst und küßt, wird sie vor dir ebenso flüchten wie vor diesem Kassugai! Spinne dich nicht in Illusionen ein …
    »Morgen nacht laufe ich weiter«, sagte sie plötzlich und schob die Pfanne über die Herdflamme.
    »Morgen?« Seine Stimme klang rauh. »Wieso?«
    »Ich muß weiter, Michail.«
    »Warum mußt du? Ich mache heute nacht unser Haus uneinnehmbar. Du wirst es erleben und mir sogar dabei helfen!«
    »Das alles kümmert einen Kassugai nicht.« Sie legte das Fleisch in die Pfanne, und gleich darauf erfüllte köstlicher Bratenduft das ganze Zimmer. »Du bist tagsüber nicht hier. Du kannst mich nicht beschützen. Du hast deine Arbeit, du mußt Erdgas suchen. Ich bin den ganzen Tag allein. Wenn Kassugai heute gekommen wäre – wer hätte ihn zurückgehalten?«
    »Alle im Dorf!«
    »Er hätte sie ausgelacht und angespuckt und wäre gerade wegen des angeblichen Spuks ins Haus gekommen! Alles, was verboten ist, reizt ihn doppelt! Nein, ich muß weiter! Weit weg von hier!«
    »Laß uns das in Ruhe überdenken, Natalia«, sagte Tassburg gepreßt. »Die Welt ist groß, das stimmt … Aber in ihrer Größe kann man auch umkommen.« Er versuchte, seine innere Erregung zu überspielen und lächelte mühsam. »Was darf ich meinem schönen Geist von den Geschenken da draußen zu Füßen legen? Gurken? Rote Rüben? Gezuckerte Preiselbeeren? Ich hole herein, soviel ich tragen kann …«
    Anastasia saß am Fenster und fuhr hoch, als Tassburg aus dem verfluchten Haus trat und zwischen den vielen Geschenken umherging, alles mit einer Taschenlampe

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