Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
lange sie hier wohl nach Erdgas suchen könnten. Er kam auf eine Zeit von drei Monaten. Dann würde längst Schnee liegen, die Taiga würde im Frost erstarrt sein, Satowka von der Umwelt abgeschlossen … Wir haben Zeit, Natalia, dachte Tassburg seltsam glücklich und fröhlich. Viel Zeit. Wir brauchen nichts zu übereilen.
Was in der Kirche geschehen war, verbreitete sich in Windeseile im Dorf. In allen Häusern begann man zu kramen und sah unter den Vorräten nach, was man entbehren konnte. Eine Stimme aus der Hölle – das war doch mal etwas Besonderes! Man kam selbst nicht in Bedrängnis, das war gut, denn das ›Töten‹ bezog sich wohl nur auf den Bewohner des leeren Hauses, auf den Genossen Ingenieur im Augenblick oder auf Anastasia Alexejewna, falls sie ihrem verdammten Erbstück mal zu nahe kommen sollte. Aber – schließlich war man eine Dorfgemeinschaft, jeder hatte Anteil am Schicksal des anderen, und wenn man – ohne zu große eigene Belastungen – Unheil von jemandem abwenden kann – warum soll man es dann nicht tun?
Eine Stunde nach Jefims Anfall – er selbst lief schon wieder herum, als sei nichts geschehen, und erinnern konnte er sich auch an nichts mehr – brachten die Bauern auf Handwagen und Mistkarren die Sachen vor Anastasias Haus: Da waren Töpfe mit gesäuertem Kohl, eingelegten roten Beten, Salzgurken, Trockenfleisch von Rentieren und Hasen, Gläser mit eingezuckerten Beeren, Säckchen mit Gries und Graupen und sogar ein paar Flaschen Birkenwein, denn es konnte ja sein, daß die Gräfin Albina Igorewna in der Hölle Durst auf einen herzhaften Schluck verspürte.
Das alles stapelten die Bauern vor dem verfluchten Haus auf, in ehrfurchtsvoller Entfernung natürlich, genau zwischen Anastasias Haus und der ominösen Blockhütte. Sie schlugen ein Kreuz und liefen dann rasch aus dem Bannkreis. Anastasia saß auf ihrer Bank, betrachtete die Gaben und nickte jedem zu, der an ihr vorbeikam. »Das ist gut! Der Himmel wird's euch danken! Schade ist's nur, daß alles ein Geist bekommt! Wie hätten mein Mann und ich davon leben können! Nun schluckt alles die Hölle!«
Dann saß sie wieder stumm da, starrte auf die Geschenke und überlegte, wie die Gräfin Albina das alles wohl wegtragen würde. Kam sie wohl selbst aus dem Haus und packte sich alles auf? Oder nahm sie den Teufel zu Hilfe? Konnte man ihn dabei beobachten, nachts, hinter dem Fenster? Oder warf einen sein Anblick augenblicklich tot um?
Tigran, der gegen Mittag vorbeikam, fand Anastasia noch immer mit diesem Problem beschäftigt.
»Versuche Gott nicht!« sagte er streng, und sein Bart sträubte sich wieder. »Den Satan beobachten? Anastasia Alexejewna, welche Gedanken! Du siehst ihn an und bist im gleichen Augenblick tot! Und dazu schwarz wie Holzkohle! Willst du eine verfluchte, schwarze Leiche sein?«
Anastasia sah ein, daß befriedigte Neugier diesen Preis nicht wert war, und begleitete den Popen, der furchtlos zwischen den Geschenken herumging und alles genau musterte und zählte.
»Ich habe eine gute Gemeinde«, sagte er abschließend. »Eine Gemeinde mit offenen Händen und Herzen. Gott blickt mit Freude auf sie herab!«
Dann ging er nach Hause, rieb sich die mächtigen Hände, streichelte seinen großen Bart und wartete voller Ungeduld auf die Nacht. Noch nie war ihm der Tag so lange vorgekommen.
Tassburg kam erst bei Einbruch der Dunkelheit aus der Taiga zurück. Er fuhr in seinem Geländewagen bis vor die Tür des verfluchten Hauses und sprang heraus. Verblüfft betrachtete er die Berge von Geschenken. Dann blickte er hinüber zu Anastasias Hütte und erkannte hinter der Scheibe ihr Gesicht. Sie preßte die Nase an das Fensterglas und beobachtete ihn neugierig. Sie schien nicht begreifen zu können, wie ein Mann so dumm sein kann, trotz aller Warnungen wieder in dieses Haus zu gehen.
Tassburg holte aus dem Wagen einen vollgepackten Rucksack, schleppte ihn zur Tür und schloß sie auf. Dann trat er ein und warf mit einem Fußtritt die Tür wieder hinter sich zu.
Im dunklen Zimmer, vor dem breiten, aus Flußsteinen gemauerten Herd, in dem nur noch ein paar Holzscheite spärlich glimmten, hockte Natalia – sprungbereit wie eine Katze.
»Ich bin es«, rief Tassburg an der Tür.
»Ich sehe es.« Sie stand auf, blieb aber im Schatten. »Gut, daß du da bist! Ich bin umgekommen vor Angst …«
»Keiner wird das Haus betreten, ich habe es dir doch versprochen!«
»Das ganze Dorf war da! Hast du gesehen, was sie alles
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