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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Seite und musterte Tassburg. »Dein Blick gefällt mir nicht.«
    »Mein Blick?« Er war verwirrt. »Das mußt du mir erklären.«
    »Du siehst mich an, als wolltest du mich überfallen …«
    »Natalia! Ich schwöre dir …«
    »Schwöre nicht!« Sie stützte die Ellenbogen auf den Tisch und legte den Kopf in ihre zu einem Kelch geformten Hände. »Sei ehrlich, Michail. Was denkst du über mich? Da ist ein ausgebrochenes Füchslein, und das fange ich mir jetzt ein … Ist es nicht so?«
    »Nein!«
    »Dein Blick …«
    »Zum Teufel! Ich liebe dich!« sagte er laut. Jetzt war es heraus, und er war zutiefst befreit, daß er es ausgesprochen hatte. »Ist das so etwas Schreckliches?«
    »Aber ich liebe dich nicht!« sagte sie, völlig unbeeindruckt von seinem Geständnis.
    »Wen liebst du denn? Einen Burschen aus Mutorej?«
    »Ich habe keinen Geliebten.«
    »Du bist noch nie geküßt worden?«
    »O doch!« Sie blickte an Tassburg vorbei gegen die dicke Holzwand, als suche sie dort Bilder der Erinnerung. »Wir waren eine lustige Gemeinschaft. Wir haben im Fluß gebadet, in den Wäldern Beeren gesucht, am Sonntag wurde in der Stolowaja getanzt, und Ostern und am Festtag von Väterchen Frost habe ich sogar im Ballett von Mutorej mitgemacht. Wir hatten viel Spaß – ja, und geküßt haben wir uns auch.«
    Ihre Augen wurden plötzlich haßerfüllt. »Dann kam Kassugai! Er lachte – es war am Fluß, und ich hatte nur einen Badeanzug an –, bestellte mir Grüße von meinen Eltern und sagte, daß ich jetzt ihm gehöre. Dann riß er mir den Badeanzug herunter, und keiner hat mir geholfen! Sie standen alle umher, meine Freunde und Freundinnen, und als Kassugai fluchte, weil ich ihm eine Ohrfeige gegeben hatte, rannten sie weg wie Hühner vor einem Marder.« Sie schwieg, strich die Haare über die Schultern und blickte Tassburg forschend an. »Wie wirst du es tun?« fragte sie langsam.
    »Ich werde nichts tun!« antwortete er heiser und stand auf. »Ich werde warten, daß du zuerst kommst …«
    »Glaubst du das?«
    »Ich weiß es nicht.« Er ging zu dem Rucksack und begann ihn auszupacken. Ein paar Pappschachteln, zwei Holzkästen und ein Bündel dünner Holzstäbe, die er selbst aus Birkenholz geschnitten hatte, kamen zum Vorschein. Michail trug alles zum Tisch, und Natalia verfolgte jede seiner Bewegungen mit lauernder Aufmerksamkeit.
    »Was ist das alles?« fragte sie.
    »Daraus basteln wir jetzt einen wilden Geisterzauber. In einer Stunde brennen wir hier ein bengalisches Feuer ab, daß denen da draußen das Herz stehenbleibt.«
    »Was brennst du ab?«
    »Hast du noch nie ein Feuerwerk gesehen, Natalia?«
    »Feuer genug …«
    »Ein buntes, knallendes, fröhliches Spiel mit dem Feuer? Künstliche Sterne, goldener Funkenregen, zischende Kaskaden …«
    »Das kannst du alles machen, Michail?«
    »Es ist ganz einfach. Ich habe weiße, grüne und rote Leuchtkugeln bei mir, und Schwarzpulver. Ich werde alles auseinandernehmen, in kleinen Mengen auf Tellern im ganzen Haus verteilen und dann anzünden. Das wird ein Feuerzauber werden!«
    »Und wenn unser Haus abbrennt?«
    »Es wird nicht brennen! Dazu sind die Mengen zu gering. Komm, hilf mir …«
    Sie arbeiteten fast eine Stunde daran. In die Mitte des großen Zimmers setzte Tassburg auf einen Hocker den Teller mit dem Schwarzpulver. Kreuz und quer durch das Haus zogen die dünnen Zündschnüre zu den einzelnen Tellern und liefen in einer Ecke des Schlafzimmers zusammen.
    »Punkt Mitternacht geht es los!« sagte Tassburg, als sie mit dem Aufbau fertig waren. Er blickte auf seine Armbanduhr, sie hatten noch zehn Minuten Zeit. »Danach wird dieses Haus niemand mehr betreten!«
    Sie trugen zwei Stühle in die Schlafzimmerecke, setzten sich, und Tassburg legte sein Feuerzeug zurecht. Er blickte wieder auf die Uhr. Neben ihm lag eine Signalpistole, geladen mit einer Schreckschußpatrone.
    »Noch drei Minuten, Natalia«, sagte er.
    »Und es kann nichts passieren? Das Dach kann nicht wegfliegen?« fragte sie kleinlaut.
    »Es hat hundertfünfzig Jahre überdauert. Das bißchen Pulver wird es auch noch ertragen. Noch zwei Minuten …«
    Der Zeiger wanderte langsam über das Zifferblatt. Als er kurz vor Zwölf stand, griff Tassburg nach der Signalpistole und richtete den Lauf gegen die Zimmerdecke. »Es wird gewaltig krachen!« rief er. »Am besten, du hältst dir die Ohren zu.«
    Natalia nickte, stumm vor Angst, und starrte auf seine Hand. Der Finger krümmte sich um den Abzugshahn, und

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