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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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anleuchtete und sich einige Gläser, Töpfe und verschnürte Pakete zurechtlegte. Sie seufzte laut bei dem Gedanken an die schönen Dinge, die da herumlagen und einer vor 150 Jahren gestorbenen Gräfin gehören sollten. Plötzlich begriff sie auch voll und ganz die Ideologie: »Die verfluchten Kapitalisten und Adligen, sie sind unser Ruin! Immer bekommen sie alles, und wir dürfen nur aus der Ferne zusehen!«
    Anastasia registrierte, daß der Genosse Tassburg mit einigen Geschenken ins Haus zurückging, anscheinend, um gegen Mitternacht den bösen Geist etwas zu versöhnen. Das war ein löbliches Vorhaben! Vielleicht ließ sich die Gräfin Albina Igorewna darauf ein, das Spuken aufzugeben und für immer aus Satowka zu verschwinden. Ein wahrer Segen wäre das …
    Kurz vor Mitternacht erschien der Teufel persönlich. Das heißt – es traten zwei Teufel auf, die aus verschiedenen Richtungen kamen. Das widerspricht zwar der Bibel, aber es geschah.
    Der eine trug ein langes, schwarzes kuttenähnliches Gewand, der andere kam in einem zerfetzten Sack. Da beide Teufel auf Zehenspitzen heranschlichen und keinen Lärm machten, trafen sie sich erst mitten zwischen den Geschenkbergen vor der Tür des verfluchten Hauses, und zwar beide in der gleichen Situation: Sie stopften in mitgebrachte Beutel Gläser und Dosen.
    »Ha!« rief der eine Teufel dumpf. Er hatte eine mächtige Baßstimme, aber mit Rücksicht auf die späte Stunde dämpfte er sie. »Du Schurke! Du Halunke! Du Gottesleugner! Vergreifst dich an aus Barmherzigkeit gespendeten fremden Gaben!«
    Und der andere, in Säcke gekleidete Teufel antwortete mit einer kreischenden Stimme: »Wer hat in die Hölle geblickt, he? Wem verdankt ihr das alles, diese vielen guten Gaben? O du dampfender Bock!«
    »Es ist unglaublich«, sagte der schwarze Teufel. »Du hast gar keinen Anfall gehabt?«
    »Bin ich ein Idiot? Diese vielen schönen Sachen! Sie wären nie aus den Häusern unserer Brüderchen gekommen! Sollen sie jetzt verkommen?«
    »Siebzig Teile für mich, dreißig für dich!« zischte der baßstimmige Satan. »Und kein Wort mehr!«
    »Bin ich einer, der sich die Schuhe mit dem Fangeisen auszieht, he? Gerecht geteilt, Bruderherz! Bedienen wir uns nach unserem Geschmack, dann ist jeder zufrieden!«
    »Und so etwas ist ein Idiot!« meinte der schwarze Teufel erschüttert. »Wie kann so etwas möglich sein?«
    »Man lebt am ruhigsten, wenn alle anderen Menschen glauben, sie seien klüger als man selbst. Ab und zu ein Tritt, was schadet's? Werden die Klugen im Leben nicht auch getreten – und oft mehr als ich? Mich läßt man in Ruhe. Aber euch … ha, ihr müßt jeden Tag darum kämpfen, daß man euch nicht für Idioten hält! Welch ein grausames Dasein!« Er zeigte auf die Geschenke. »Bedienen wir uns?«
    »Es ist zum Verrücktwerden!« sagte der Schwarzgekleidete. »Wie kann man gegen einen Idioten argumentieren! Also gut, bedienen wir uns.«
    Aber dazu kam es nicht mehr.
    Aus dem verfluchten Haus der Witwe Anastasia Alexejewna Morosowskaja ertönte ein so lauter Donnerschlag, daß die Erde zu beben schien. Dann leuchtete es hinter den Fenstern rot, grün und blau auf. Es war, als zische Feuer aus der Erde.
    Die beiden Teufel machten einen Luftsprung, rafften ihre langen Gewänder und rannten in die Richtungen weg, aus denen sie gekommen waren. Die Panik saß ihnen im Nacken.
    Im Haus gegenüber rollte sich Anastasia geistesgegenwärtig unter ihr Bett, zog die Decke über den Kopf und wunderte sich, daß ihr Herz vor Schreck nicht stehengeblieben war.
    Es war genau Mitternacht.

IV
    Sie hatten gegessen wie in einem Luxusrestaurant. Natalias Braten war vorzüglich geraten, dazu Preiselbeeren und der Birkenwein – man sage nicht, in der Taiga könne man nicht gut leben!
    Jetzt saßen sie sich noch immer an dem großen Tisch gegenüber, Tassburg auf der Eckbank, Natalia auf einem Hocker. Ab und zu sprang sie auf, holte neuen Wein und bediente Tassburg wie eine gute Ehefrau. Immer wenn sie in die Nähe des Feuers kam, veränderte sich ihre Haarfarbe … Dann schimmerte wieder das Rotgold durch, und etwas Märchenhaftes umfloß sie.
    »Ich lasse dich morgen früh nicht fortgehen!« sagte Michail plötzlich. »Allein der Gedanke, daß du allein durch die Taiga irrst, macht mich verrückt.«
    »Ich kenne den Wald«, erwiderte sie ruhig. »Und alles, was kommt, ist besser als Kassugai.«
    »Bleib hier! Das ist am besten!«
    »Bei dir bleiben?« Sie neigte ihren Kopf etwas zur

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