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Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Natalia, ein Mädchen aus der Taiga

Titel: Natalia, ein Mädchen aus der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dann schoß ein Feuerstrahl aus dem Lauf. Die Detonation war so laut, daß man meinte, die Decke bräche ein.
    Tassburg ließ die Signalpistole sofort fallen und hielt das Feuerzeug an die Zündschnüre. Blitzschnell liefen die Flämmchen an den Schnüren entlang, und dann, ein paar Sekunden später, zischte das erste rote Flammenlicht auf, gefolgt von einem grünen, einem weißen und begleitet von lautem Zischen und Krachen.
    Natalias Augen waren vor Schreck geweitet. Sie hatte den Mund zu einem Schrei geöffnet, aber der Ton blieb ihr in der Kehle stecken. Plötzlich war überall um sie herum Feuer, aus allen Zimmern loderte es, und beißender Rauch wallte auf und legte sich schwer auf die Lungen. Sie konnte kaum atmen, rang nach Luft und warf die Arme hoch über ihren Kopf.
    »Michail!« rief sie. »Michail! Wir sterben! Wir verbrennen! O Michail …«
    Sie sprang auf, stürzte auf Tassburg zu, umklammerte und küßte ihn mit einer so wilden Verzweiflung, daß sein Stuhl umfiel und beide auf die Dielen rollten. Dort blieben sie liegen, aneinandergepreßt, umzischt von den feurigen Kaskaden, eingehüllt in den beißenden Pulverqualm.
    »Du sollst nicht sterben!« rief sie hell, als aus dem Nebenzimmer der gewaltige Knall des großen Tellers mit Schwarzpulver dröhnte. »Michail! Ich liebe dich! Warum sollen wir schon sterben, gerade jetzt sterben …«
    Dann küßte sie ihn wieder, klammerte sich an ihm fest und zitterte so heftig, daß alle weiteren Worte nur noch ein Stammeln wurden.
    Wer Anastasias ›Leeres Haus‹ in dieser Nacht von außen sah, mußte glauben, innerhalb der schweren Balkenwände sei ein Vulkan ausgebrochen und schleudere feurige Wolken durch die Räume.
    Hinter den Fenstern zischte und donnerte es, zuckten Blitze, fuhr bald darauf ein gelbrötlicher Rauch aus dem Kamin und verbreitete einen schwefelähnlichen Geruch.
    Natürlich rannten sofort alle Leute zusammen und standen in weitem Umkreis um das Teufelshaus. Der Vorsänger Ostap drang in Anastasias Haus ein und zerrte sie unter dem Bett hervor. Sie schlug in ihrer Decke um sich, strampelte, trat und schrie herzzerreißend, weil sie zunächst glaubte, der Satan sei auch zu ihr gekommen. Sie konnte sich auch kaum beruhigen, als sie Ostap erkannte, denn draußen knallte und zischte es noch immer, was bewies, daß die verfluchte Gräfin äußerst aktiv war.
    »Das hat es noch nie gegeben!« wimmerte Anastasia und blieb wie ein Käfer auf dem Rücken liegen. »Das steht in keiner Überlieferung! Die Hölle ist nach Satowka gekommen!«
    Der gleichen Meinung war auch der Pope Tigran Rassulowitsch. Als man ihn weckte, hatte er sich gerade hingelegt. Ein langer schwarzer Umhang und einige Büchsen und Gläser lagen unter seinem breiten Bett, aber das sah man nicht, weil es nicht üblich ist, Priestern unter die Betten zu blicken.
    »Das Haus!« schrie der gute Mann, der Tigran weckte. Er stotterte vor Entsetzen. »Alles wird vernichtet! Alles! Der Ingenieur fliegt in Stücken zum Schornstein hinaus!«
    »O ihr Heiligen!« stöhnte Tigran. Er schwang die Beine aus dem Bett und griff nach seiner Soutane. »Habt ihr es genau gesehen?«
    »Ostap behauptet, er habe einen Arm mit dem Rauch davonschweben sehen …«
    »Das große Kreuz!« brüllte Tigran. »Hilf mir, das große Kreuz aus der Kirche zu tragen!«
    Sie rannten in die Kirche, holten das dicke Kreuz aus Eichenholz und schleppten es gemeinsam hinaus. Draußen stand, als habe er es geahnt, der Idiot Jefim mit einem Handkarren und grinste Tigran fröhlich an.
    »Du unersättlicher Schuft!« schrie Tigran in heiligem Zorn. »Mit einer Karre sogar!« Dann besann er sich aber, trug das Kreuz zu dem Karren und setzte sich damit hinein. »Rennt! Rennt wie die Pferdchen! Vielleicht ist noch etwas zu retten!«
    Der Bauer und Jefim Aronowitsch ergriffen die Deichsel und rannten, hinter sich Tigran, der im schwankenden Kasten das Kreuz umklammerte, die Straße hinunter zu Anastasias Haus. Schon von weitem wehte ihnen der beißende Geruch entgegen. Ein paar alte Mütterchen, die letzten aus dem Dorf, trabten neben dem Handwagen mit dem Kreuz her. Sie trugen Fackeln in den Händen – Holzstangen, die man mit Baumharz getränkt hatte.
    »Dieses Unglück!« wimmerten die Weiblein. »O dieses Unglück!«
    Als Tigran das Haus erreicht hatte, standen die Bauern in einem Kreis darum und starrten auf das farbige Flammenleuchten, das noch immer hinter dem verhängten Fenster aufblitzte. Als sie das große Kreuz

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